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Menschenrechte

Frauenrechte


 

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Porträt von Khalida Messaoudi


Khalida Messaoudi

Rede auf dem Simone de Beauvoir-Kongress 1999 in Köln

Wir Algerierinnen, Marokkanerinnen, Iranerinnen und Sudanesinnen haben uns zusammengetan, um etwas zu fordern, was im Westen selbstverständlich ist: die Universalität der Menschenrechte, die unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion für alle gelten. In meinem Land jedoch verbinden die Feinde der Frauen mit dem Begriff Universalität immer auch das Attribut "international", was für sie gleich "westlich" ist. Auch die Abgeordneten der Vereinten Nationen scheinen in ihrem tiefsten Inneren zu glauben, die Unterdrückung der algerischen Frauen läge in der Kultur unseres Landes begründet – und unter dem Vorwand des "Respekts vor anderen Kulturen" müsse man eben auch die Unterdrückung der Frauen respektieren und akzeptieren.

Wir Algerierinnen nennen das die "Kulturfalle". In diese Falle sind die westlichen Länder voll getappt. Sie glauben, unsere Unterdrückung sei eine kulturelle Frage – und wollen nicht verstehen, dass sie eine rein politische Frage ist. Aus unserer Geschichte und Kultur lässt sich die Unterdrückung der Frauen ebenso wenig ableiten wie aus der der westlichen Länder – auch wenn das so mancher algerischer Mann gerne hätte.

Jedesmal, wenn eine algerische Frau aufsteht, um ihre Rechte zu verteidigen, steht ein Mann hinter ihr, der fragt: Was willst du eigentlich, willst du etwa wie die Europäerinnen werden? Unsere Antwort lautet: Wir wollen wie Kahina werden! Kahina war eine algerische Herrscherin im siebten Jahrhundert. Sie hat ihr Land nicht in Angst und Schrecken geführt, wie es die Männer heute tun.

Wir wünschten, die Völker des Abendlandes lernten wenigstens unsere Geschichte, bevor sie über uns richten. Wir leiden unter der rassistischen Sichtweise, Universalität sei geographischen Grenzen unterworfen und habe nicht überall Gültigkeit. [...] Natürlich kann es keine Lösung für die Opfer des islamischen Fundamentalismus sein, den Westen zu bitten, die Sache für uns zu regeln. Aber wir brauchen bei unserem Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen in den islamischen Ländern die Hilfe und Unterstützung der europäischen Länder.

In Algerien hat es in den letzten Jahren Hunderttausende von Toten gegeben, darunter viele Frauen, Journalisten, einfache Leute; und Tausende von vergewaltigten und gefolterten Frauen. In den letzten acht Jahren wurden 2.084 Frauen von islamistischen Gruppen verschleppt, ohne dass irgendein internationales Gremium dagegen protestiert hat. Schlimmer noch: Eine algerische Frau hat auch in Deutschland kein Recht auf politisches Asyl, wenn sie von der GIA, den bewaffneten "Gotteskriegern", verfolgt wird, denn sie wird ja nicht vom Staat bedroht. Dafür erhalten ihre Verfolger Asyl, denn ihnen droht nach all den Verbrechen in ihrer Heimat ja die Todesstrafe.

Damit nicht genug: Selbst Frauen, die in einem etablierten "Gottesstaat" verfolgt werden, verweigert man das politische Asyl; ebenfalls unter dem Vorwand, diese Verfolgung sei kulturell und nicht politisch bedingt. Eines Tages musste ich in der "Le Monde" lesen, Taslima Nasrin verdiene ihr Schicksal, denn sie habe es ja geradezu darauf angelegt, indem sie sich in einem Entwicklungsland gegen die Religion gewandt habe. [...]

Ich bin Algerierin, ich lebe in Algier und bin heute Abgeordnete der Nationalversammlung. Ich bin stolz darauf, von meinen Landsleuten mit dem Wissen gewählt worden zu sein, dass ich Demokratin und nicht religiös bin. Darauf hatte ich meine Kampagne aufgebaut. Doch ich kann zwar gewählt werden, aber ich habe noch nicht einmal die elementarsten Menschenrechte. Denn nach dem herrschenden Gesetz – das nicht von den Fundamentalisten gemacht wurde, sondern von der algerischen Republik – bin ich als Frau eine Unmündige. 1984 verabschiedete das algerische Parlament das neue Familienrecht, [...]. Danach kann ich als algerische Abgeordnete im Parlament zwar die Gesetze mitmachen, im Privatleben aber bin ich eine Unmündige. Die Polygamie ist gesetzlich erlaubt, und ein Ehemann kann seine Frau noch immer quasi verstoßen. Wollte ich heiraten, dürfte ich das nicht selbst entscheiden, sondern mein 74-jähriger Vater müsste es für mich tun. Gäbe es ihn nicht mehr, entschiede ein Bruder oder Onkel, ja sogar ein Sohn für mich; auch, ob ich ins Ausland reisen darf oder nicht.

Wir haben in Algerien dank unserer Geschichte und des gemeinsamen Kampfes von Männern und Frauen gegen die französische Kolonialmacht eine relativ starke Frauenbewegung. Doch auch sie konnte die Entrechtung der Frauen zwanzig Jahre nach der Befreiung unseres Landes nicht verhindern. [...]

Wir haben es mit einer einflussreichen fundamentalistischen Internationalen zu tun, die eine klare Strategie hat. Um die Frauenrechte zu sichern, brauchen auch wir eine demokratische Internationale der Frauen – sonst haben wir keine Chance gegen das Ungeheuer. Nicht nur die algerischen, auch die sudanesischen, iranischen und afghanischen Frauen wissen, wovon ich rede: Sie kennen das Grauen der "Gottesstaaten" nur zu gut. Doch allein, ohne eure Unterstützung, ohne die der Frauen- und Menschenrechtler der westlichen Länder, verlieren wir diesen Kampf um Leben und Tod.

[Übersetzung: Antje Görnig; zuerst veröffentlicht in EMMA, 1/2000]

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