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Menschenrechte

Kinderrechte

Probleme des Kinderrechtsschutzes

Der folgende Text weist auf einige gravierende Probleme hin, die trotz der 1989 verabschiedeten Konvention über die Rechte des Kindes weltweit bestehen. Es handelt sich um die gekürzte Fassung eines Vortrags von Heiko Kauffmann, des Sprechers der deutschen Menschenrechtsorganisation ProAsyl. Der Vortrag zeigt zunächst auf, in welchem Maß Kinder nach wie vor weltweit ausgebeutet werden und skizziert damit die Vorgeschichte und die Motive zur Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention. In einem zweiten Kapitel widmet er sich dem besonders problematischen Fall der Flüchtlingskinder. Hier weist er beispielhaft auf die Situation in Deutschland hin. Der Umgang mit dem minderjährigen Flüchtling Pit veranschaulicht die Probleme des deutschen Asylverfahrens — auch und gerade wenn es sich bei den Asylsuchenden um Kinder handelt.

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World Wide Web ProAsyl

Die 1986 gegründete Organisation ProAsyl unterhält ein umfangreiches und interessantes Internetangebot in deutsch und englisch. Der Besuch lohnt sich: http://www.proasyl.de

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Übersicht

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"Die Menschheit schuldet Kindern das Beste, das sie zu geben hat"

Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Heiko Kauffmann über Flüchtlingskinder ohne Rechte

1. Weltweite Ausbeutung von Kindern — Kindersoldaten und Kinderarbeit

(...) UNICEF belegt in einer Studie, dass Ende der 1980er Jahre rund 200 000 Kinder unter 16 Jahren als Soldaten in mindestens 14 Krisenregionen dienten und befürchtet, dass ihre Zahl inzwischen weiter angestiegen ist. Die Studie zeigt auf, dass in Afghanistan, Nicaragua, El Salvador, Kolumbien, Burma, Liberia, in Sudan, in Angola und Mozambique sowie im Balkan-Krisengebiet bewaffnete Kinder zum Alltag gehörten bzw. gehören. Sie werden vom Militär bzw. paramilitärischen Gruppen geworben oder zwangsrekrutiert. Tausende Kinder schließen sich dem Militär aus Angst, Hunger oder Rachewunsch "freiwillig" an. In der "Dritten Welt" gelten insbesondere Straßen- und Waisenkinder als billiges "Kanonenfutter". Geraten sie in Gefangenschaft, werden sie den gleichen Qualen ausgesetzt wie Erwachsene: Folter, Vergewaltigung, Zwangsarbeit.

Am 11. November 1996 legt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf eine Studie zur Kinderarbeit vor: Über 250 Millionen Jungen und Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahren werden weltweit in die Sklaverei und in die Kinderprostitution gezwungen oder in Bergwerken, Fabriken und Haushalten ausgebeutet. Zur Beseitigung dieser krassen Auswüchse schlägt die UN-Sonderorganisation unter anderem eine neue Konvention vor, die für inakzeptable und gefährliche Formen der Kinderarbeit ein höheres Mindestalter von 18 Jahren festlegen soll.

Schließlich muss im Zusammenhang mit Kinderrechten und Flüchtlingskindern darauf hingewiesen werden, dass:

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Tausende von Kindern in vielen Staaten der Welt Opfer von Folter, von staatlichen Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen sind;

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Zehntausende von Kindern willkürlich verhaftet werden;

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massenhaftes Verschwindenlassen von Kindern in vielen Staaten der Welt an der Tagesordnung ist;

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sie in Gefängnisse gesperrt, verschleppt, ermordet, hingerichtet werden;

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Kinder von Oppositionellen und politisch aktiven Eltern besonders häufig gefährdet sind: sie werden misshandelt, um Informationen zu erpressen;

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Kinder gezwungen werden, die Folterungen ihrer Eltern anzusehen; den Eltern wird gedroht, dass ihre Kinder gefoltert würden, wenn sie nicht redeten und Geständnisse machten (...).

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2. Kinder auf der Flucht

Schätzungen gehen davon aus, dass fast die Hälfte aller Flüchtlinge in der Welt zufluchtsuchende Kinder, Heranwachsende und Jugendliche sind. Diese sind auf der Flucht immer besonders gefährdet: Familien werden auseinandergerissen, Kinder sind den großen physischen und psychischen Strapazen am wenigsten gewachsen, in vielen Flüchtlingslagern herrschen katastrophale Lebensbedingungen; viele Lager werden zu Dauereinrichtungen und führen damit zu "dauerhafter Heimatlosigkeit" und Bezugslosigkeit. Diese katastrophalen Umstände fördern Entwurzelung und Identitätsverlust von Kindern, sie verhindern Integration und ersticken die Lebenschancen von vielen. Auf 6 bis 10 Millionen wird die Zahl der Kinder geschätzt, die allein, ohne Begleitung, nach Verlust der Eltern oder sonstiger Angehöriger nur auf sich gestellt, auf der Flucht sind.

Angesichts dieser massiven Beeinträchtigung von Lebenschancen und Verletzung von Kinderrechten klingt der Satz der Präambel der "Charta des Kindes" von 1959 — "Die Menschheit schuldet den Kindern das Beste, das sie zu geben hat" — wie ein Hohn auf die Lebenswirklichkeit der Mehrzahl der Kinder in der Welt.

Um diese Kluft zwischen Wissen und Handeln, zwischen Reden und Tun, zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Sinne der Kinder entscheidend zu verringern und mit dem "härteren Recht" einer Konvention zu überwinden, wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes am 20. November 1989 von der Staatengemeinschaft verabschiedet. 187 Staaten haben sie inzwischen ratifiziert oder sind ihr beigetreten (Stand: November 1996).

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3. Die deutschen Ausnahmeregelungen

Die Bundesrepublik trat im April 1992 bei — allerdings mit Vorbehalten, und diese in einem zentralen Bereich, in dem es um Hilfen und Gewährung von Zuflucht für Flüchtlingskinder geht, die mit ihren Eltern oder ohne jegliche Begleitung Kriegen, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgungsmaßnahmen, Zwangsrekrutierungen, Gewalt und persönlicher Not entrinnen wollen.

Durch ihre "Vorbehaltserklärung" wollte sich die Bundesregierung u. a. von den ausländerrechtlichen und asylrechtlichen Verpflichtungen der Kinderrechtskonvention lossagen, d. h. auf die notwendige Anpassung und Reform der besonders restriktiven und abwehrenden deutschen Gesetze in diesem Bereich verzichten; dies, indem sie die unbarmherzige deutsche Asylrechtspraxis für "Rechtens" und im Einklang mit den Intentionen der Kinderrechtskonvention interpretiert.

Die Konvention formuliert eindeutig, dass das "Wohl des Kindes" (Artikel 3) bei allen gesetzgeberischen, juristischen, aber auch verwaltungsmäßigen Entscheidungen "vorrangig zu berücksichtigen" ist. Deutschland widerspricht mit seiner "Vorbehaltserklärung" diesem Anliegen: Für Kinder von Flüchtlingen und Migrant/inn/en gilt nicht in erster Linie das "Kindeswohl", gilt nicht "the best interests of the child" (wie es im Englischen besser formuliert ist), sondern das Asylverfahrensrecht bzw. das Ausländergesetz. Das Wohl der Flüchtlingskinder muss sich dem deutschen Asylrecht unterordnen. Auch hier zeigen sich die Folgen einer verquasten, herzlosen und heuchlerischen Asyldebatte deutlich: Zuflucht suchende Menschen — und selbst Kinder — werden als "Bedrohungspotential" instrumentalisiert, statt ihnen Hilfe zu leisten und damit dem humanitären Anspruch des Grundgesetzes gerecht zu werden. (Sarkastisch könnte man hinzufügen: Deshalb musste es ja auch geändert werden!) (...).

Viele, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, können ihre verlorene Sicherheit und ihre zerstörte Würde nicht wiederfinden, weil sie hier mit neuen Unsicherheiten, Hindernissen und Ängsten konfrontiert werden. Selbst Bürgerkriegsflüchtlinge müssen ausreisen oder mit Abschiebung rechnen.

Wir erleben diesen Konflikt ja alle im Umgang der deutschen Innenminister mit den bosnischen Kriegsflüchtlingen, darunter vielen Kindern und Jugendlichen, die hier noch zur Schule gehen oder einen Ausbildungsplatz in Aussicht haben. Und obwohl die meisten von ihnen das Kriterium der Schutzbedürftigkeit im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nach wie vor erfüllen, werden sie von der deutschen Politik immer mehr unter Druck gesetzt, werden ihre Aufenthaltstitel nicht verlängert, Lebensperspektiven nicht beachtet. Das "Wohl des Kindes" — das Bestmögliche im Interesse des Kindes unter Erwägung aller Gesichtspunkte zu ermitteln und umzusetzen — spielt in Deutschland keine oder eine völlig untergeordnete Rolle.

Deutschland ist mit dieser Art eines "temporären Schutzes" auf dem Weg zu einer Minimalisierung des Flüchtlingsschutzes — und der Ignoranz bzw. der Geringschätzung gegenüber Menschenrechten insgesamt.

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4. Die Geschichte von Pit — ein Beispiel von vielen

Anfang Februar 1995 reist der minderjährige P. — nennen wir ihn im folgenden "Pit" — in Hamburg in die Bundesrepublik ein. Herkunft und Schicksal sind ungeklärt. Die Ausländerbehörde veranlasst eine sogenannte "fiktive Altersbestimmung", d.h., es wird "über den Daumen gepeilt", wie alt Pit sein könnte. Er wird über 16 Jahre geschätzt, damit ist er nach dem Asylverfahrensgesetz "asylmündig". Seine Anhörung erfolgt am 7. Februar, bereits am 10. Februar wird sein Antrag als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Anfang März wird der Junge — gerichtlich angeordnet — in Abschiebehaft gesteckt. Erst Anfang Mai gelingt es seinem Rechtsanwalt, Pit freizubekommen. Um sein Alter genau zu bestimmen, wird einen Tag nach der Haftentlassung eine Röntgenuntersuchung des Handwurzelknochens angeordnet und durchgeführt. Die "überraschende" Folge: einige Tage später wird Pit in ein Jugendheim geschickt, er erhält eine Duldung und einen Vormund.

Während der zweimonatigen Inhaftierung hat sich Pit nur schriftlich äußern können. Vermerke aus der Gerichtsverhandlung machen seinen psychischen Zustand deutlich: "Sitzen in der Zimmerecke", "der Betroffene vergräbt das Gesicht in den Händen".

Pit ist offensichtlich schwer traumatisiert, kann nicht sprechen, versucht sich aber schriftlich mitzuteilen, wenn er Stift und Papier hat. Seine Unzugänglichkeit wird ihm von Behörden und Gerichten als verstockte Haltung ausgelegt, Nach dem Ende seiner Abschiebehaft verändert er sich zusehends. Als er auf seinen schriftlich geäußerten Wunsch einen Gottesdienst besuchen kann, fängt er an zu sprechen. Immer seltener muss er einen Stift benutzen, um sich mitzuteilen. Langsam werden Bruchteile seiner Lebensgeschichte sichtbar. Es wird festgestellt, dass er Verbrennungen an Knie und Bein hat, die schlecht verheilt sind. Seit seiner Ankunft in Deutschland hat sich niemand darum gekümmert. Pit ist offensichtlich dem Völkermord in Ruanda mit knapper Not entkommen.

Was ist seiner Familie, was dem Jungen widerfahren? Es wird noch sehr lange dauern, bis Pit seine Geschichte wirklich erzählen kann. Was wäre in seinem Fall gewesen, wenn nicht engagierte Menschen begonnen hätten, den stummen Pit ernst zu nehmen und sich für ihn einzusetzen (...)?

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