öffentl. Meinung

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Parteien

Freie Bildung öffentlicher Meinung:
Voraussetzung und Ausdruck demokratischer Lebensform

(...) Demokratie (...) lebt vom Kampf der Meinungen. Sie bedarf generell in allen gesellschaftlichen Bereichen - in Familie und Schule ebenso wie in Verein und Betrieb - eines sozialen Klimas, das das offene Ausdiskutieren von Meinungsverschiedenheiten begünstigt. Das Vertreten eigener Meinungen muss ebenso geduldet und gefördert werden wie das beharrliche Fragen nach dem Warum und Weshalb. Nicht diskussions- und begründungslos erteilte Anweisungen, sondern vernünftige Argumente sollen das Handeln bestimmen, das niemals aller Kritik entzogen werden darf (...).

Es ist unmittelbar einleuchtend, dass eine solche geistige Auseinandersetzung öffentlich geschehen muss. Es würde der Opposition wenig nützen, wenn sie ihre Kritik an der Regierung nur hinter verschlossenen Türen vortragen könnte. Ihre Argumente blieben wirkungslos, da die Opposition nur dann einen Druck auszuüben vermag, wenn sie durch öffentliche Kritik an den Regierenden auf die Wähler einwirken kann. Erst wenn eine für die Stellung der Regierung gefährliche Wahlentscheidung droht, wird sie die Vorhaltungen der Opposition ernst nehmen und kann der Wähler seine Rolle als Schiedsrichter zwischen Regierung und Opposition tatsächlich auch wahrnehmen. Da der Wähler der eigentliche Adressat des Wettstreits der Parteien ist, müssen alle Parteien ihn auch erreichen können. Voraussetzung einer sinnvollen Opposition ist deshalb die Chance freier öffentlicher Vertretung der eigenen Überzeugung. Umgekehrt sind auch Regierung und Regierungspartei im Kampf um ihre Stellung gezwungen, an der öffentlichen Meinungsbildung im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen und Überzeugungen tatkräftig mitzuwirken.

Die Funktion der Kontrolle, der Kritik und der Anregung ist nicht nur der parlamentarischen Opposition übertragen, sondern sie ist im Grunde der gesamten Öffentlichkeit, in der sich öffentliche Meinung bildet, aufgegeben. Öffentlich meint dabei zunächst, dass jedermann an der Bildung solcher Meinungen sich beteiligen kann und dass sie sich nicht in geheimen Konventikeln vollzieht. Jedermann muss die Möglichkeit haben, Informationen zu sammeln und seinen Teil zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Zum anderen beinhaltet der Begriff öffentliche Meinung, dass diese öffentliche und nicht private Dinge zum Gegenstand hat. Sie beschäftigt sich also mit der »res publica« im weitesten Sinne. Zur Öffentlichkeit gehören darum alle Staatsbürger oder Vereinigungen von Staatsbürgern, die sich um das Gemeinwesen Gedanken machen und diese Gedanken in Kritik und Ablehnung, Vorschlag und Zustimmung öffentlich äußern und vertreten und dadurch die politische Willensbildung zu beeinflussen suchen. Sie bilden damit öffentliche Meinung. Aber weil in der pluralistischen Gesellschaft in der Regel verschiedene Meinungen über die öffentlichen Dinge vorhanden sind, gibt es eigentlich nie die öffentliche Meinung, sondern nur öffentliche Meinungen.

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Gerade im selbständigen Gegenüber zum staatlichen Apparat erweist sich die demokratische Struktur solcher Öffentlichkeit, die für jedermann offen ist. In der Demokratie haben alle das Recht auf eine frei gebildete eigene Meinung im Bereich des Politischen. Damit ist nicht nur gemeint, wie noch einmal ausdrücklich betont sei, dass der einzelne seine private Meinung haben kann. Die eigene Meinung ist vielmehr die Grundlage zu aktiver Teilhabe am Öffentlichen (...).

An dieser Stelle hängt das Recht der freien Meinungsbildung und Meinungsäußerung auf das engste zusammen mit der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Freiheit von Presse und Rundfunk. Diese Rechte gewinnen ihre politische Bedeutung dadurch, dass sich ohne sie das Recht, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken, nicht realisieren ließe. Denn der einzelne kann nicht als einzelner, sozusagen durch persönliche Mundpropaganda, seiner Meinung im Meinungsbildungsprozess Ausdruck und Gewicht verleihen. Politisch wird seine Meinung nur, wenn er Flugblätter und Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen als Verstärker einsetzt. In den modernen Großstaaten ist ohne das Instrumentarium der Massenkommunikationsmittel die öffentliche Auseinandersetzung nicht zu führen. So folgt dem individuellen Recht, an der öffentlichen Meinung teilzuhaben, die Forderung, dass die Massenkommunikationsmittel frei vom staatlichen Zwang sein müssen. Die Regierung darf keine Möglichkeit haben, in die freie Gestaltung der Zeitungen oder der Rundfunk- und Fernsehprogramme einzugreifen. Zwar kann es einer Regierung nicht verwehrt werden, ihre Politik durch die modernen Massenkommunikationsmittel den Bürgern zu erläutern, aber sie darf das nur tun als ein Partner neben anderen innerhalb des Meinungsbildungsprozesses und ohne beanspruchen zu wollen, dass sie darin eine Vorzugsstellung habe. Wenn die Regierung sich äußert, muss auch immer die Opposition in der Lage sein, zu Wort zu kommen.

Durch Enthaltsamkeit der Regierung und Zensurverbot ist aber die Pressefreiheit keineswegs schon gesichert. Die öffentlichen Instanzen haben vielmehr auch sicherzustellen, dass sich im gesellschaftlichen Bereich keine Meinungsmonopole entwickeln. Denn die Gefahr der modernen Massenkommunikationsmittel ist evident. Sie erlauben, eine große Zahl von Hörerinnen und Hörern oder Leserinnen und Lesern anzusprechen, ohne dass alle den gleichen Zugang zu solchen Massenkommunikationsmitteln haben. Die wenigsten haben das notwendige Kapital, um selbst eine Zeitung herauszugeben. (...) Technische Gründe haben nämlich zu immer stärkerer Konzentration bei den Zeitungsverlagen geführt und damit die Vielfalt der Meinungen, die in den verschieden ausgerichteten Presseorganen vertreten wurden, empfindlich eingeschränkt.

Dieser Prozess ist kaum umkehrbar. Gute Zeitungsverlage müssen eine bestimmte Größe haben. Aber der Gesetzgeber muss verhindern, dass sich Monopole bilden; wo sie schon existieren, müssen sie kontrolliert werden. Der Staat muss sicherstellen, dass in den Zeitungsredaktionen die Meinungsfreiheit und Mitbestimmung der Redakteure durch Statuten oder Satzungen gewährleistet ist. (...) Glücklicherweise ist durch die neuen Druck- und Kopierverfahren die Vielfalt regionaler und lokaler Publikationsorgane sprunghaft gestiegen, damit haben sich die Möglichkeiten politisch vielfältiger Information und Kommentierungen durchaus verbessert. Die Verbreitung der Kopierautomaten ist insofern durchaus ein Politikum ersten Ranges (...).

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Noch schwieriger ist es, Monopole im Bereiche des Rundfunk- und Fernsehwesens zu verhindern. Der notwendige Aufwand an Kapital und die technischen Bedingungen dieser Medien lassen es nicht ohne weiteres zu, dass sich jede Gruppe über den Äther oder den Fernsehschirm Gehör verschaffen kann, was auf dem Markt der Druckerzeugnisse noch eher möglich ist. Deshalb sind überall in diesem Bereich gesetzliche Regelungen geschaffen worden, durch die sichergestellt werden soll, dass alle in der Gesellschaft vertretenen Auffassungen in angemessener Weise auch über den Äther und den Fernsehschirm zu hören und zu sehen sind. Gerade im Bereich von Rundfunk und Fernsehen muss die Meinungsbildung pluralistisch erfolgen und ist besondere Wachsamkeit gegenüber den Manipulationen der jeweils herrschenden Gruppen geboten (...).

Wer sein Recht auf Meinungsfreiheit benutzen will, muss die Chance haben, sich die Informationen zu verschaffen, die dafür nötig sind. Man kann sich ein eigenes Urteil nur bilden, wenn man über die anstehende Sache Bescheid weiß. Wer den mündigen Bürger als Teilhaber an der Meinungsbildung bejaht und ihn als souveränen Träger der Staatsgewalt akzeptiert, der muss ihn auch über alle anstehenden politischen Entscheidungen unterrichten. Das ist die zweite Seite der Meinungs- und Pressefreiheit. Alle Dinge, die öffentliches Interesse erregen und die der Bürger wissen muss, um sich ein begründetes politisches Urteil bilden zu können, müssen auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden dürfen.

Was dabei von öffentlichem Interesse ist, wird sich niemals exakt definieren und im voraus abgrenzen lassen. Hier kommt es mehr auf den Geschmack und den Stil sowie die Selbstdisziplin der Journalisten als auf gesetzliche Bestimmungen an. Sicherlich wird mancherlei Missbrauch getrieben, wenn zum Beispiel das Privatleben eines Politikers in allen Einzelheiten vor allen enthüllt wird. Den gröbsten Auswüchsen stehen die strafrechtlichen Bestimmungen über den Ehrenschutz entgegen, die freilich nicht zum Maulkorb von Presse, Rundfunk und Fernsehen werden dürfen. Wer Wert auf eine umfassende Information legt, der wird auch Missstände in Kauf nehmen, die sich aus dem Missbrauch der Freiheit ergeben können. Man sollte sich hüten, mit Zensurvorschriften gegen solche Missstände vorzugehen, weil dadurch allzu leicht die Pressefreiheit in ihren Grundfesten erschüttert werden kann. Denn - so schreibt Karl Jaspers – "ungewiss zwar ist es, ob in der Freiheit die Wahrheit sich verwirklicht. Gewiss aber ist, dass unter Zensur sie verkehrt wird".

(...) Nur unter solchen Voraussetzungen kann sich freie öffentliche Meinung bilden und Kritik, Kontrolle und Anregung vermitteln. Nur in einer funktionierenden Öffentlichkeit kann sich der einzelne ein begründetes Urteil bilden und wird er fähig, in und außerhalb der Wahl sein politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Demokratie und freie öffentliche Diskussion verschiedener Meinungen sind zwei Seiten ein und derselben Sache.

(...) Meinungen bilden sich kaum noch spontan, sie werden allzu oft gemacht. Regierung, Parteien und Verbände treiben »Öffentlichkeitsarbeit«. Die pluralistische Gesellschaft kennt deshalb nur eine Vielzahl von öffentlichen Meinungen, die gewöhnlich kontrovers sind. Wer immer mit dem Anspruch, die öffentliche Meinung wiederzugeben, auftritt und mit diesem Anspruch der Politik ganz bestimmte Richtlinien vorschreiben will, der setzt sich nur dem Verdacht aus, mit der Rede von der öffentlichen Meinung seinen eigenen Interessen unangemessenes Gewicht verleihen zu wollen. Erst in einem echten Dialog zwischen den untereinander kontroversen Meinungen könnte sich so etwas wie eine einhellige öffentliche Meinung bilden.

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Die Richtlinien der Politik werden in der pluralistischen Gesellschaft freilich weniger in der öffentlichen Diskussion formuliert oder von einer einhelligen öffentlichen Meinung gestaltet. Sie entstehen vielmehr als Ausdruck einer Serie von Kompromissen, die zwischen den gesellschaftlich-politischen Kräften gefunden werden müssen.

Das Parlament ist heute nicht mehr, wie die bürgerliche Theorie es sah, eine Versammlung diskutierender einzelner, die im Prozess freier Diskussion das allgemeine Beste finden, sondern die letzte Instanz, wo die Kompromisse zwischen den gesellschaftlichen Kräften und den Erfordernissen des Gemeinwesens fixiert werden (...). Heute wird die Öffentlichkeit nicht mehr von den Diskussionsbeiträgen politisch interessierter Individuen, sondern von den offiziösen Stellungnahmen der Regierung, der Parteien und der Verbände beherrscht. Die eigentlichen Entscheidungen aber fallen nicht auf dem Markt solcher öffentlicher Bekundungen, sondern werden allzu oft hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, so dass die Öffentlichkeit nur noch das Ergebnis zur Kenntnis nehmen kann. Trotzdem darf das oft ganz erhebliche Gewicht einzelner Politiker (...) oder bedeutender Publizisten und Kommentatoren auf die öffentliche Meinungsbildung nicht unterschätzt werden.

(...) Nur ein Regime, das sich der Öffentlichkeit stellt, nimmt die Mündigkeit seiner Bürger ernst. Und da Parteien und Verbände heute Teilhaber der öffentlichen Gewalt sind, müssen auch sie zur Publizität gezwungen werden. Diskutiert werden muss heute nicht nur auf der Ebene der Wählerschaft und im Parlament, sondern vor allem zwischen und innerhalb von Parteien und Verbänden, Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen (...). Vor dem hellen Licht der Öffentlichkeit würde manches in den Parteien und Verbänden anders laufen. Freilich ist die moderne Demokratie keineswegs allein durch den Zwang zur Publizität zu sichern.

(...) Darum braucht Demokratie, brauchen Parteien und Verbände Öffentlichkeit, die für jeden zugänglich ist, und in der Öffentlichkeit erhärtete öffentliche Meinungen. Hier haben Presse, Funk und Fernsehen ihre zentrale Funktion in der Demokratie, die sie nur erfüllen können, wenn in ihnen die öffentlichen Kontroversen und die Vielfalt der möglichen Meinungen deutlich zum Ausdruck kommen. In einer solchen Öffentlichkeit gestaltet der Bürger das Gemeinwesen und findet die Demokratie die Verankerung im Volk. Öffentlichkeit ist das Instrument, das für alle politische Gewalt Kontrolle ermöglicht. Das Gemeinwesen, das sich der prinzipiellen Übereinstimmung von öffentlichen Entscheidungsinstanzen und öffentlicher Meinung erfreut, hat jene demokratische Grundlage gefunden, von der aus eine freiheitliche und kontinuierliche Politik betrieben werden kann.

[aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, BpB Bonn 1990]

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