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Parteien

Parteien und Medien - Modell 2:

Das Mediokratie-Modell

Obwohl schon der Begriff umstritten ist, so ist doch klar: Mediokratie meint, dass die heutigen Massenmedien mindestens als Vierte Gewalt mitherrschen, möglicherweise sogar eine Art Übergewalt gewonnen haben.

Sie bestimmen die politische Agenda gegenüber den Politikern nach »oben« und gegenüber dem Publikum nach »unten«. Sie machen aus sachlicher Information seichte Unterhaltung, sie personalisieren die Politik durch den Zwang des Fernsehens zur Visualisierung prägnanter Personen.

Wo liegen nun die wichtigsten Merkmale eines Medienwandels? Die Medien waren schon immer wichtig, seit es eine räsonierende bürgerliche Öffentlichkeit gibt (...). Einer dieser Umbrüche trifft uns derzeit. Er liegt in der Expansion und im Wandel von Form und Inhalt. Gab es z.B. [in Deutschland] bei den Printmedien 1980 noch 272 Publikumszeitschriften, so wurden 1990 bereits 546 gezählt. Gab es 1980 noch 745 Fachzeitschriften, so wurden 1990 schon 866 Titel registriert. Die Anzeigenblätter wuchsen in derselben Zeit von 350 auf über 1.000 Titel.

Ich nenne bewusst zuerst die Printmedien, deren Expansion man neben dem Fernsehen nicht vergessen darf. Bis 1980 gab es in Deutschland bekanntlich nur 2 Vollprogramme und je ein regionales drittes Kulturprogramm. 1990 gibt es schon über 150 privat-kommerzielle Hörfunkanbieter und über Kabel oder Satellit jeweils 20 bis 30 Fernsehprogramme. In den letzten Jahren — zwischen 1989 und 1994 — hat der tägliche Fernsehkonsum der Erwachsenen um 18,5 Prozent, der der Kinder um 26,7 Prozent zugenommen — bei einer durchschnittlichen Sehdauer der Bevölkerung über 14 Jahre von 179 Minuten. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass der Konsum der Vielseher wächst und dass viele beim Fernsehen wegsehen, d.h. dass der Kasten im Wohnzimmer als bewegtes Bild den Hintergrund bestimmt. Form und Inhalt haben sich durch die gnadenlose Kommerzialisierung gewandelt, selbst die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten klappern der Devise »Wir amüsieren uns zu Tode« hilflos nach.

Die Auswirkungen auf die Politik sind beträchtlich. Bernd Guggenberger meint: »Die Visualisierung der Politik ist im vollen Gange.« Und weiter: »Die Medien wirken wie ein gigantisches Vergrößerungsglas. Sie bescheren der Politik der Volksparteien eine so zuvor nie gekannte Aufmerksamkeit und Verbreitungsgeschwindigkeit. Diese neue Extensität aber wird bezahlt mit Intensitäts- und Treueverlusten sowie einem Beständigkeits- und Berechenbarkeitsschwund, der sich unter anderem auch in der drastischen Zunahme der Wechselwähler ablesen lässt. Die Medien sind ebenso machtvolle wie unkontrollierbare Beschleuniger und Trendverstärker. Und das Fernsehen setzt als das geradezu klassische Medium des Siegers jene demokratiepolitisch so bedenkliche >Erfolgsspirale< in Gang, von der die Allensbacher Erfinderin der >Schweigespirale< leider nie spricht. Jetzt gilt es nicht mehr bloß: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg, sondern: Nichts ist so erfolgreich wie die Suggestion des Erfolgs. Das Medium erschafft die Wirklichkeit, die abzubilden es vorgibt.«

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Die Fernbedienung hat mit dem Zapping das Channel-Surfing ermöglicht. Hasten von Aktion zu Aktion kennzeichnen das Medienverhalten und den Lebensstil vieler junger Leute. Die Parallelen zwischen Zapping und Wechselwähleranstieg sind unübersehbar. Die Wahlforscher reden gerne in ihrem Jargon von der wachsenden »elektoralen Volatilität« — das meint den Wechselwähler, der mal hierhin, mal dorthin flattert. Dem entspricht eine mediale Volatilität, ein Flüchten von einem Trend zum nächsten Thema. Eine kontinuierliche politische Linie eines Blattes oder eines Magazins verflüchtigt sich so. »Es ist ein Journalismus der Postmoderne entstanden, der sich progressiv dünkt.« (...)

Allerdings sind viele dieser Wandlungen auch den Eigengesetzlichkeiten der Medienlogik, der »medialen Optik« geschuldet. Der Zwang zur Visualisierung (und der Mangel an Phantasie der Journalisten) bescheren dem Nachrichtenseher immer wieder Autovorfahrten der Politiker, Pressekonferenzen, Händeschütteln und erste Spatenstiche, die kaum die politische Phantasie des Bürgers anregen. Die agenda-setting-Forschung ist ergänzt worden durch den »issue-attention-cycle«, der davon ausgeht, dass es für die Medien Eigengesetzlichkeiten über den Lebenszyklus eines Themas gibt: von der Vorphase über die Entdeckungsphase zum Höhepunkt und dann über die Abschwungphase in eine Nachproblemphase. Daneben beschäftigt sich die Medienwissenschaft mit »Nachrichtenwertkriterien«, die die Verarbeitung der politischen Wirklichkeit prägen. Die Nachrichten orientieren sich z.B. an Ereignismerkmalen wie Negativismus, Überraschung, Personalisierung, Elitestatus, gesellschaftliche Relevanz und kulturelle Nähe. Ohne solche Kriterien im Kopf, ohne Routinen und Standards »stürbe der Redakteur bald vor Aufregungen«.

Die Medien haben aber nicht nur zwischen Parteien und Publikum eine starke Stellung erlangt, sie haben weitgehend auch die innerparteiliche Kommunikation übernommen. Parteizeitungen sind eingegangen oder jedenfalls zurückgegangen; Parteiabende vermitteln den Mitgliedern kaum neue Informationen über ihre Politik. Diese erhalten sie fast ausschließlich aus den Medien — ob es nun eine neue Politik ist, oder ob es alte Querelen über Personen und Positionen sind.

Das Medium prägt die Botschaft, wobei selbst innerhalb der Medien noch Hierarchien bestehen. Die übergeordneten Tageszeitungen und politischen Wochenzeitungen, d.h. die Qualitätszeitungen bzw. die sogenannten »Edelfedern«, sprechen nicht nur die politische Elite an, sondern auch die Journalisten der übrigen Medien. (...) Oberreuter [geht] in seiner Medienkritik noch weiter: »Die Mediatisierung der Politik bedeutet, dass die Medien, das Fernsehen voran, die Politik weithin ihren Eigengesetzlichkeiten unterworfen haben.« Damit ist das Modell der Mediokratie am konsequentesten formuliert: Die Medien haben sich die Politik unterworfen. Aus der Zuschauerdemokratie wurde die Fernsehdemokratie.

[...zum Text über das bottom-up-Modell]

[aus: Ulrich von Alemann, Parteien und Medien, in: O. Gabriel u.a. (Hg.), Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn BpB 1997]

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