Grundrechte

 

Demokratie
Justitia Der folgende Text beleuchtet das schwierige Verhältnis von Grundrechten und Demokratie. Klar ist, dass es Demokratie ohne Grundrechte nicht geben kann. Aber inwiefern bestehen Spannungen zwischen beiden?

Der Text gliedert sich in folgende Abschnitte:

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Buchauszug Grundrechte und Demokratie

Grundproblem

(...) Politische Wissenschaft und politische Bildung weisen immer wieder auf die wechselseitige Abhängigkeit dieser beiden Komponenten hin: Die (...) Grundrechte konstituieren unsere Demokratie, und unser demokratisches System gewährleistet seinerseits die Grundrechte.

So selbstverständlich wurde der Zusammenhang zwischen Demokratie und Grundrechten nicht immer gesehen. Der Stein des Anstoßes besteht darin, dass die Grundrechte weite Bereiche privaten und gesellschaftlichen Lebens dem staatlichen Zugriff entziehen, während sich doch gerade im staatlichen Handeln die Souveränität, also die umfassende Selbstbestimmung des Volkes konstituiert. Schon in der Französischen Revolution gab es Bestrebungen, die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte durch eine Bestimmung über den allgemeinen und souveränen Willen des Volkes zu ersetzen. Zwei Prinzipien kommen hier miteinander in Konflikt: das demokratische Urrecht, über die Angelegenheiten des Gemeinwesens bestimmen zu können, und der Anspruch der Grundrechte, der staatlichen Verfügbarkeit entzogen zu sein. Tatsächlich gibt es aus dieser Kontroverse keinen einfachen Weg heraus (...). Um Zusammenhänge zwischen Demokratie und Grundrechten differenzierter zu verstehen, ist es notwendig auch den Demokratiebegriff in mehreren Dimensionen zu begreifen.

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Demokratie als Herrschaftsform

Geht man davon aus, dass Demokratie nicht Abschaffung von Herrschaft, sondern Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk ist, so sind Grundrechte auch in dieser Form der Herrschaft von Menschen über Menschen zunächst Abwehrrechte, da selbst vom Volk legitimierte Gewalt missbraucht werden kann. Da auch eine rechtmäßig eingesetzte Regierung oder Verwaltung Unrecht begehen kann, bleibt der Bürger potentiell schutzbedürftig. Da der politische Prozess gerade in einer Demokratie durch Interessengegensätze befördert wird, ist ganz selbstverständlich, dass die gleichzeitige Realisierung von Volkssouveränität und individuellen Freiheiten mit Spannungen verbunden ist, in denen letztere immer wieder gefährdet sind.

Demokratie als Herrschaftsform beinhaltet auch, dass sich Mehrheiten in Wahlen und Abstimmungen gegenüber Minderheiten durchsetzen. Die unterlegenen Meinungen und Gruppen haben je nach Lage zumindest folgende (Grund-)Rechte: sie müssen im Rahmen der Freiheitsrechte fortexistieren und im Sinne des Gemeinwohls berücksichtigt werden. Zudem kommt ihnen die Chance zu, mehrheitsfähig zu werden. Bedingungen hierfür sind Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Der oft als Kennzeichen der Demokratie genannte Minderheitenschutz ist demnach direkter Ausfluss der Grundrechte. Seine verschiedenen Facetten, der reine Existenzschutz, die Einbindung ins Gemeinwohl und die Schaffung der Voraussetzungen für Macht- und Meinungswechsel, zeigen, dass die Grundrechte gerade in der Demokratie über die Abwehrrechte hinaus zu konstituierenden Elementen werden.

Bezeichnet man die Demokratie als eine Staatsform, in der Herrschaft zeitlich, sachlich und (durch Föderalismus) räumlich begrenzt ist, so sind die Grundrechte zunächst Grenzmarken, wenn Freiheiten in Gefahr geraten. Ihre Funktion geht aber darüber hinaus, indem durch sie schon vorab, das heißt durch die Verfassung Verfahren festgelegt werden, die die Staatsgewalt beschränken. Dazu gehören zum Beispiel Gewaltenteilung, Verfassungsbindung oder Rechtsweggarantie. Grundrechte sind in diesem Sinn nicht etwas anderes als Demokratie, stehen also auch nicht in einem "Verhältnis" zu ihr, sondern sind vielmehr deren integraler Bestandteil.

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Demokratie als Methode der Legitimation von Herrschaft

Neben dem Verständnis als Herrschaftsform bedeutet Demokratie in einer zweiten Dimension ein "Verfahren der Legitimation, der Kontrolle und der Kritik politischer Herrschaft". Demokratie besteht nicht nur in Wahlen, sondern zu ihr gehören wesentlich die Kommunikationsvorgänge, die man auch als politische Willensbildung bezeichnet und zu der die gesellschaftlichen Gruppierungen aufgefordert sind. Damit aber kommt den Grundrechten, die diese Kommunikation schützen und fördern, eine für die Demokratie konstitutive Aufgabe zu. Unter den sogenannten Kommunikationsgrundrechten hat wiederum die Meinungsfreiheit eine herausragende Bedeutung, ohne die sich eine Demokratie nicht vorstellen lässt. Nach Ansicht von Staatsrechtslehrern wird ihr Maß zum Kriterium demokratischer Entwicklung — gerade an "jungen" Demokratien lässt sich dies gut ablesen. Sie ermöglicht die Kritik an als ungerecht empfundenen politischen Entscheidungen, transportiert gesellschaftliche Wünsche in den politischen Entscheidungsbereich und verlangt Begründungen für getroffene Entscheidungen.

Diese Kommunikationsrechte schützen nicht nur die Meinungsfreiheit des einzelnen, sondern auch die der Gruppierungen, zu denen man sich zur besseren Wahrung von Interessen zusammenschließt (Vereinigungsfreiheit) (...).

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Demokratie als Verfahren zur Gewinnung von Recht

Politische Ordnung kommt wesentlich dadurch zustande, dass verschiedene gesellschaftliche Interessen auf dem Weg der Rechtserzeugung zu für alle verbindlichen Regeln werden. Das Wie dieser Rechtserzeugung ist bestimmend für die Charakterisierung der Ordnung zum Beispiel als demokratisch, absolutistisch oder totalitär. Innerhalb der demokratischen Verfahren wird man (idealtypisch) zwischen plebiszitären und repräsentativen unterscheiden müssen (...).

In bezug auf das Verhältnis von Grundrechten und Demokratie wird man die Parlamente als rechtssetzende Instanzen durchaus zwiespältig einschätzen können: einerseits schaffen sie die rechtlichen Grundlagen für die Realisierung der Grundrechte, andererseits sind sie auch Einrichtungen, die Grundrechte gesetzlich beschränken. Die in der Demokratie angelegte schwierige Abwägung zwischen Vertrauen und Misstrauen gegenüber staatlicher Gewalt ist hier gefordert.

Gerade hierfür spielt die Grundrechtssicherung durch Verfahren eine wichtige Rolle. Als Beispiele mögen die Energie und die Verkehrspolitik dienen. Bei beiden gehört die Absicherung des Grundbedarfs etwa an Wärme oder Mobilitätsmöglichkeiten in das weitere Feld des Grundrechtsschutzes. Auf der anderen Seite gibt es Grenzen, hinter denen die Erfüllung weiterer Bedürfnisse an Energie oder Straßen selbst wieder zur Beschränkung von Grundrechten, zum Beispiel des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, führen. Ein Weg aus diesem Dilemma ist wenigstens theoretisch das Verfahren der Bürgerbeteiligung, da die von einer Maßnahme betroffenen und profitierenden Menschen so selbst darüber entscheiden können, wie viel noch schlechtere Luft sie für wie viel mehr Straßenbau in Kauf zu nehmen bereit sind (...).

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Demokratie als Teilhabe und Mitbestimmung

In der Geschichte der Grundrechte wurde sichtbar, wie sich diese erst als Freiheitsrechte, dann als Teilhaberechte — sie beinhalteten von Beginn an auch die Pflicht zur politischen Verantwortung — gegenüber König und Adel entwickelt haben. Mit dem Übergang zur Volkssouveränität wurde dann aus Teilhabe Selbstherrschaft, jedoch kommt auch hier jedem einzelnen wiederum nur sein Teil an der Herrschaft zu. Verändert hat sich demnach mit der Demokratie der Sinn der Teilhabe: nicht mehr ein "gnädigst gewährtes" Stück Anteil an der Macht, sondern die durch das Grundrecht der Gleichheit definierte Mitbestimmung gibt die politischen Möglichkeiten des einzelnen vor. Grundrechte haben insofern nicht nur, wie oben gezeigt wurde, eine funktionale Bedeutung, sondern sie werden zu "demokratischen Statusrechten", sie machen die politische Ordnung zum "Gemeinwesen", indem sie dem Bürger persönliche Selbstbestimmung und politische Mitbestimmung gewährleisten.

Wenn aber Grundrechten als Teilhaberechten in der Demokratie eine solch fundamentale Bedeutung zugemessen wird, erhält auch ihre Förderung bei solchen Personen, denen ihre Wahrnehmung ansonsten schwerer fällt, einen neuen Stellenwert: Demokratie bleibt als Ordnungsform nur lebendig, wenn die sie tragenden Statusrechte von allen Bürgern nicht nur als Möglichkeit, sondern real im politischen und gesellschaftlichen Alltag wahrgenommen werden. Die Gefahr, dass (...) Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, ist heute geringer — wenn auch nicht ausgeschlossen — als die Sorge, dass sie von Staatswegen nicht gefördert und vom Bürger nicht ernst genommen werden. Ihre gleichermaßen staatskritische wie staatserhaltende Aufgabe macht sie für eine demokratische Ordnungsform unentbehrlich. Staat und Bürger müssen begreifen, dass die beiden Aufgaben zusammengehören und jede einseitige Bewertung sowohl die Rechte des Bürgers wie die Existenz der demokratischen Ordnung gefährden kann.

[Hans-Otto Mühleisen; entnommen aus: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Grundrechte, Informationen zur politischen Bildung Nr.239, Bonn 1998]

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