Naturrecht

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Vertiefungsthema Naturrecht

Vertiefungsthema Naturrecht

Das Naturrecht steht für die Idee eines Rechts, das sich nicht menschlicher Autorität verdankt, das dem von Menschen gesetzten (positiven) Recht vielmehr vorgelagert ist und es legitimiert. Es beansprucht für jede Staatsinstanz und für jeden Menschen unbedingte Verbindlichkeit. Zunächst wollen wir uns zwei typische Lexikondefinitionen ansehen:

Buchauszug

Lexikon: "Naturrecht"

Naturrecht (I) (lateinisch jus naturale), in der Rechtsphilosophie das überstaatliche, überpositive Recht, das nicht auf menschlicher Rechtssetzung oder -formung beruht und unter Umständen zum staatlichen Recht in Widerspruch stehen kann (richtiges Recht, natürliches Recht).
(...) Als Vernunftrecht findet sich das Naturrecht (...) schon in der antiken Philosophie, dann wieder in der Neuzeit (Renaissance, Barock und Aufklärung). Das Naturrecht wurde sogar zum besonderen akademischen Lehrfach mit dem Anspruch, die Rechtsphilosophie zu sein, ferner zur Grundlage für große Rechtssysteme (Grotius, Pufendorf), für die Theorie vom Staats- und Gesellschaftsvertrag und damit des konstitutionellen Staates, für eine Humanisierung des Strafrechts (Abschaffung von Hexenprozess und Folter) sowie für die Positivierung der Menschenrechte und damit für den liberalen Staat.
(...) Der Missbrauch des positiven staatlichen Rechts im 20. Jahrhundert führte nach 1945 zur Wiederbelebung der philosophischen Anthropologie und zu einer "Wiederkehr des Naturrechts".

[entnommen aus Bertelsmann Discovery Lexikon]

Naturrecht (II): Die Gesamtheit der im Wesen jedes Menschen, in seiner Natur begründeten, ihm angeborenen Rechte. Jeder Mensch besitzt in gleichem Maße gleiche Naturrechte (z.B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder auf persönliche Freiheit), unabhängig von seinem Geschlecht und Alter, seiner Stellung in der Gesellschaft, der Zeit, in der, dem Ort, an dem, und der staatlichen Ordnung, innerhalb der er lebt. Naturrechte sind vor- und überstaatliche, deshalb unabänderliche, "ewige" Rechte; sie werden unterschieden von Gesetzen und sonstigen vom Staat gesetzten und so geschichtlich wandelbaren Rechtsnormen, das heißt vom positiven Recht, und beanspruchen eine höhere Rechtsqualität als diese.
Die Wurzeln der Idee der Naturrechte reichen zurück in die griechische Antike; sie ist schon enthalten etwa in der Philosophie einiger Sophisten (5. und 4. Jh. v. Chr.), von Platon (427-347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.), wurde insbesondere von der Stoa (seit dem 3. Jh. v. Chr.) ausgeformt und von deren griechischen und römischen Anhängern, so von Cicero (106-43 v. Chr.), Seneca (ca. 4. v. Chr.- 65 n. Chr.) und Epiktet (ca. 50-138), weiterentwickelt.
In der christlichen Philosophie und Theologie des Mittelalters, insbesondere in der des Thomas von Aquin (1225-74) und anderer Scholastiker, galten die Naturrechte als Ausfluss des im Menschen wirkenden göttlichen Rechts.
Politische Bedeutung erlangten die Naturrechte erst im Zeitalter der Aufklärung (17./18. Jh.). Die von J. Althusius (1557-1638) und H. Grotius (1583-1645) entwickelte, von S. Pufendorf (1632-94), Chr. Thomasius (1655-1728), Chr. Wolff (1679-1754), J. J. Rousseau (1712-78), I. Kant (1724-1804) und anderen weiterentwickelte Theorie der Naturrechte als in der vernünftigen Natur des Menschen begründete Rechte (Vernunftrechte) diente zur philosophischen Begründung der Französischen Revolution (1789) und anderer "bürgerlichen" Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts und wurde zu einem Mittel des Bürgertums in seinem Kampf gegen das feudalistische Gesellschaftssystem (Feudalismus) und den absolutistischen Staat (Absolutismus) und für den Rechtsstaat. In den menschlichen und bürgerlichen Grundrechten, auf denen der Rechtsstaat der Neuzeit beruht, gewinnen die Naturrechte konkrete Gestalt.

[aus: Beck, Reinhard: Sachwörterbuch der Politik, Kröner Verlag, Stuttgart 1986, S. 637]

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Es wird deutlich, dass die Menschenrechte aus dieser Tradition stammen. Die rationalistische und aufklärerische Naturrechtslehre erlebte ihren Höhepunkt im 17. und 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert dominierte die Gegenbewegung gegen die Naturrechtslehre, der Rechtspositivismus, der davon ausgeht, dass allein das positive (gesetzte) Recht gilt, unabhängig davon, was es besagt. Für beide Richtungen sprechen gute Gründe, beide Positionen bergen aber auch Gefahren. Die beiden Positionen lassen sich folgendermaßen gegenüberstellen:

Naturrechtslehre

Rechtspositivismus

Es gibt ein übergeordnetes, immer geltendes Naturrecht, das den positivierten Normen vorgelagert ist.

Das Recht ergibt sich aus den positivierten Normen, unabhängig von deren Inhalt.

Die klassische Naturrechtslehre setzt den Rechtsinhalt absolut.

Der klassische Rechtspositivismus setzt die Rechtsform absolut.

"Es gibt also Rechtsgrundsätze, die stärker sind als jede rechtliche Setzung, so dass ein Gesetz, das ihnen widerspricht, der Geltung bar ist. Man nennt diese Grundsätze das Naturrecht oder das Vernunftrecht. Gewiss sind sie im einzelnen von manchen Zweifeln umgeben, aber die Arbeit der Jahrhunderte hat doch einen festen Bestandteil herausgearbeitet und in den sogenannten Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte mit weitreichender Übereinstimmung gesammelt"

[Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 1950]

Über die Inhalte des Rechts befindet die Politik.

"Wir müssen auch das niederträchtigste Gesetzesrecht, sofern es nur formell korrekt erzeugt ist, als verbindlich anerkennen."

[Karl Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, 1892]

"Es gilt unumstößlich die Wahrheit, dass die Rechtsmacht jeden beliebigen Rechtsinhalt setzen kann."

[Felix Somló, Juristische Grundlehre, 1927]

Der Richter hat die Befugnis, seinem vernünftigen Ermessen den Vorrang vor dem geschriebenen Gesetz zu geben.

Der Richter ist streng an die vom Staat erlassenen Gesetze gebunden.

Gefahr: Rechtsunsicherheit, Willkür

Gefahr: "Ungerechte" Gesetze eines Diktators werden buchstabengetreu angewendet.

[Eine graphische Veranschaulichung dieser Gegenüberstellung bietet das Schaubild zum Vertiefungsthema Naturrecht]

Der Rechtspositivismus des 19. Jahrhunderts betrachtete den Extremfall, dass "perverses" Recht gesetzt würde, als rein hypothetisch. Genau das trat aber in den totalitären und faschistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein. Deshalb kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Umdenken, zu einer Wiederkehr des Naturrechts. Nun wurde im Rahmen der Vereinten Nationen versucht, das Naturrecht in Form der Menschenrechte zu positivieren. Das heißt, man hielt an der Idee fest, dass es ein übergeordnetes Recht gibt, versuchte nun aber, dieses Recht für alle Menschen verbindlich niederzuschreiben.

Es handelt sich um einen Kompromiss zwischen den oben dargestellten Extrempositionen: Natürlich gelten in erster Linie die geschriebenen Gesetze, aber die Gesetzesbefolgung um jeden Preis musste vermieden werden. Verstoßen Gesetze gegen die Gerechtigkeit, hat man die Pflicht, ihnen nicht zu gehorchen. Was unter "Gerechtigkeit" zu verstehen ist, ergibt sich aus den weltweit anerkannten Dokumenten wie insbesondere der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte".

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