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Khalida Messaoudi
Sie trat Anfang der 80er Jahre erstmals politisch in Erscheinung, als sie gegen die neuen frauenfeindlichen Gesetze des FLN-Regimes vorging: Das neue Wahlgesetz erlaubt es Männern, anstelle ihrer Frauen zu stimmen. Das neue Reisegesetz verbietet es Frauen, ohne Begleitung auszureisen. Das neue Familiengesetz legt fest, dass von nun an Frauen lebenslang Mündel ihrer männlichen Angehörigen bzw. des Ehemanns bleiben. Auch im Scheidungs- und Erbrecht werden sie starken Benachteiligungen ausgesetzt. Diese Gesetze stellten einen Bruch der Verfassung dar, die für Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten vorschrieb. Zusammen mit Feministinnen, Kommunistinnen und den "Mudjahedat", den alten Partisaninnen im Befreiungskrieg, sammelte Khalida Messaoudi 10.000 Unterschriften gegen das Familiengesetz und demonstrierte mit Tausenden von Frauen auf der Straße. Das Reisegesetz musste aufgrund des starken Drucks der Frauen zurückgenommen werden, das Familiengesetz hingegen wurde 1984 durchgesetzt. Dies war ein weiterer Schritt der Regierung weg von der Demokratie und hin zum Islamismus. Am 15. März 1985 gründete Messaoudi mit Gleichgesinnten den "Verein für Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz", der bis 1989 bestand (="Association pour l’egalité devant la loi entre les femmes et les hommes"), sie wird Vorreiterin der Bürgerbewegungen für die Rechte der Frauen in Algerien, außerdem sympathisiert sie mit der erstarkten Kulturbewegung der Kabylen (Berber), die die Anerkennung ihrer Sprache und ihrer kulturellen Identität fordern. 1988 entschloss sich die Regierung nach schweren Unruhen, durch demokratische Öffnung einen Ausweg aus der ökonomischen und sozialen Krise des Landes zu suchen. Dies führte zur Gründung von mehr als fünfzig Parteien und regierungskritischen Zeitungen. Diese Politik ließ allerdings nicht nur neue demokratische Parteien wie die linksliberale RCD (Vereinigung für Kultur und Demokratie) zu, der Khalida Messaoudi nahesteht, sondern auch alle islamistischen Parteien, wie die FIS (Islamische Heilsfront). 1990 gründete Messaoudi die feministische "Unabhängige Vereinigung für den Sieg der Rechte der Frauen" ("Association indépendant pour le triomphe des droits des femmes" AITDF), deren Präsidentin sie wurde. Im wachsenden Konflikt zwischen der Regierungspartei FLN und der islamistischen FIS ist Messaoudi eine Vertreterin der "dritten Kraft", die ein ziviles, demokratisches und laizistisches Algerien fordert, das die traditionellen Gegebenheiten des Vielvölkerstaates respektiert und widerspiegelt: "Ich stehe zwischen den Alten des FLN, die Algerien seit bald 35 Jahren systematisch ausgebeutet haben, die es entstellt haben, und den fast analphabetischen Jungen ohne Arbeit und ohne Wohnung, die der Fundamentalismus fasziniert. Ich will weder die eine noch die andere Gesellschaft und kämpfe seit 1979 für ein anderes Modell." Der FLN-Staat, der den Islam zur Staatsreligion erklärt hatte, setzte der islamistischen Bewegung damals kaum Widerstand entgegen, sondern versuchte, sie gegen die linken und demokratischen Bewegungen zu instrumentalisieren. Demokraten und Frauen wurden zunehmend Opfer von Terrorakten, die vor allem auf das Konto islamistischer, von den arabischen Staaten finanziell gestützter Parteiorganisationen und Gruppierungen gehen. Diese hatten zunächst großen Zulauf, da sie durch Almosenvergabe in den Moscheen die Ärmsten der Armen unterstützten und den perspektivlosen Jugendlichen ein einfaches Weltbild boten. Die Frauen mussten, sofern sie sich nicht dem Islamismus anschlossen, in der islamistischen Propaganda als Sündenbock herhalten und waren nun in den Augen vieler verantwortlich dafür, dass sie keinen Arbeitsplatz fanden, wobei Anfang der 90er Jahre in Algerien nur etwa jeder hundertste Erwerbsarbeitsplatz von einer Frau besetzt wurde.
Messaoudi entschied sich dafür, nicht wie so viele andere Betroffene ins Ausland zu gehen, sondern in ihrer Heimat zu bleiben. Seit dieser Zeit lebt sie im Untergrund und wechselt – unterstützt von Verwandten und Freunden - jeden Tag ihren Aufenthaltsort. Ihre Arbeit als Lehrerin musste sie aufgeben. Sie wurde ein Symbol des Widerstands. Zwei Attentaten entkam sie nur durch Zufall. Ihre politische Arbeit führt sie trotz schwerster Bedingungen weiter: Im November 1993 wurde sie eine der Vizepräsidentinnen der "Bewegung für die Republik" (Mouvement pour la république, MPR). Sie prangert in ihren politischen Reden auch die inaktive Rolle des Westens an und weist unermüdlich auf die Zehntausende von zivilen Opfern in diesem "Krieg gegen das Volk" hin, besonders die Verletzung der Frauenrechte. "Wir Algerierinnen, Marokkanerinnen,
Iranerinnen und Sudanesinnen haben uns zusammengetan, um etwas zu fordern, was
im Westen selbstverständlich ist: die Universalität der Menschenrechte, die
unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion für alle gelten. In meinem
Land jedoch verbinden die Feinde der Frauen mit dem Begriff Universalität immer
auch das Attribut "international", was für sie gleich
"westlich" ist. Auch die Abgeordneten der Vereinten Nationen scheinen
in ihrem tiefsten Inneren zu glauben, die Unterdrückung der algerischen Frauen
läge in der Kultur unseres Landes begründet – und unter dem Vorwand des
"Respekts vor anderen Kulturen" müsse man eben auch die
Unterdrückung der Frauen respektieren und akzeptieren. 1997 wurde sie unter dem Listenzeichen der RCD ins Parlament gewählt. Hier gilt ihr ganzer Einsatz der Kampagne "Eine Million Unterschriften", womit sie das Familiengesetz zugunsten von mehr Rechten für die algerischen Frauen ändern will. Als sie anlässlich der blutigen Niederschlagung der Berberproteste eine Solidaritätserklärung abgab, wurde sie von ihren langjährigen Mitkämpfern aus der Partei ausgeschlossen. Als Grund dafür sieht sie ihr Eintreten für die Frauenrechte an. Khalida Messaoudi ist Mitbegründerin der Vereinigung "S.O.S. Femmes en Détresse". [Autorin: Dorette Wesemann, Redaktion: Ragnar Müller]
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