Athen

 

Demokratie
Buchauszug

Entstehung und Entwicklung der Polis in Athen

Übersicht:

1) Die Entstehung der Polis 4) Tyrannis Peisistratos
2) Adelsherrschaft 5) Kleisthenes
3) Solon 6) Perikles

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Die Entstehung der Polis

In den als "Übergangszeit" oder "dark ages" bezeichneten Jahrhunderten, die auf die Wanderbewegungen griechischer Stämme im 12. und 11. Jahrhundert v.Chr. folgten, hatte sich die für die Zukunft grundlegende ethnische Struktur Griechenlands mit den Stämmen und Dialekten der Äolier, lonier und Dorer herausgebildet. Auch eine gemeinsame Religion und ein gemeinsamer Mythos, der zunächst mündlich tradiert wurde, entstanden. Der Beginn der sich anschließenden "archaischen Zeit" (ca. 800-500) war im wesentlichen bestimmt durch das Entstehen der griechischen Literatur, den Übergang von der Königs- zur Adelsherrschaft, die Entwicklung der Polis und die griechische Kolonisation.

Konstitutiv für das Phänomen der Polis ("Stadtstaat"; Mehrzahl: Poleis) war die Verbindung von städtischer Siedlung und agrarischem Umland, staatliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit nach außen (Eleutheria, Autarkia) und die innere Struktur der Polis, die als Personenverband der Bürger eine politische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Lebensgemeinschaft darstellte. Die städtische Siedlung der Polis bildete sich in der Regel um eine befestigte Anhöhe (Akropolis), häufig auf ehemals mykenischen Siedlungsplätzen.

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Adelsherrschaft

Etwa gleichzeitig mit der Entstehung der Poleis war im 8. Jahrhundert v.Chr. in den meisten griechischen Gemeinwesen die Monarchie der Herrschaft des Adels gewichen, der die neu geschaffenen höchsten Staatsämter bekleidete. In Athen regierte seit 683/82 das jährlich wechselnde Kollegium der Archonten, ursprünglich wohl bestehend aus dem Archon Eponymos, der dem Jahr seinen Namen gab und die wesentlichen Aufgaben des Königs übernahm, und dem obersten Kultbeamten, dem Basileus. Später sind diese Oberämter um die Ämter des Polemarchos, des obersten Feldherrn, und der sechs Gerichtsbeamten, Thesmotheten, erweitert worden, so dass die klassische Anzahl von neun athenischen Archonten Ergebnis einer längeren Entwicklung ist. Nach ihrer Amtsführung traten die Archonten dem Adelsrat (Areiopag) bei, dem neben der allgemeinen Staatsaufsicht strafrechtliche Aufgaben oblagen.

Die Masse des freien Volkes (Demos) besaß ein politisches Mitspracherecht durch die im 8. und 7. Jahrhundert freilich noch sporadisch und formlos agierende Volksversammlung (Ekklesia), die spätestens bis 600 jedoch institutionellen Charakter gewann und sich bis zum 5. Jahrhundert zum zentralen Organ der Polis entwickelte, das die Innen- und Außenpolitik bestimmte. Außerhalb der rechtlich-politischen Gemeinschaft der athenischen Bürger standen die Sklaven.

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Die politische Herrschaft des Adels, die auf wirtschaftlicher und damit militärischer Überlegenheit beruhte, begann im 7. Jahrhundert infolge eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels zu wanken: Faktoren dieses Prozesses waren zum einen die Ablösung der dominierenden Rolle, die der Adel bei der Kriegführung gespielt hatte, durch die Phalanx, die geschlossene Kampfreihe der schwerbewaffneten Bürger, zum anderen die Verelendung, Entrechtung und Versklavung vieler Kleinbauern durch die adligen Grundherren, was Forderungen nach Schuldenerlass, Neuaufteilung des Landes und Rechtskodifikation aufkommen ließ.

In dieser Phase niedergehender Adelsmacht und steigender sozialer Spannungen etablierte sich in einigen griechischen Poleis eine Tyrannis, in anderen wurde ein Schiedsrichter oder Gesetzgeber eingesetzt. In Athen übernahm nach dem gescheiterten Versuch Kylons, eine Tyrannis zu errichten (um 635), Drakon 624 die Aufgabe, das geltende Recht aufzuzeichnen und die Rechtsgleichheit wiederherzustellen. Überliefert ist nur ein Teil des Strafrechts. Die wesentlichen Neuerungen bestanden inhaltlich in der Unterscheidung von Mord und fahrlässiger Tötung, formal in der Aufhebung der allgemeinen Blutrache. Zwar oblag die Verfolgung des Straftäters weiterhin der geschädigten Partei, doch bedurfte diese nunmehr einer gerichtlichen Genehmigung, der staatliche Strafvollzug war erst eine Errungenschaft des 5. Jahrhunderts.

Die spätere Überlieferung hat den "drakonischen" Gesetzen zu Unrecht übermäßige Härte zugeschrieben. Drakons Gesetzgebung bedeutete einen Schritt zu größerer Rechtssicherheit, die politischen und sozialen Probleme hat sie allerdings nicht gelöst.

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Solon

In der weiterhin zugespitzten innenpolitischen Situation Athens führten die Furcht des Adels vor revolutionären Veränderungen, die Lebensumstände vieler verarmter Kleinbauern und der unerfüllte Anspruch waffenfähiger nichtadliger Bürger auf politische Mitbestimmung dazu, dass die Konfliktparteien 594/93 v.Chr. als Kompromiss den dem Adelsgeschlecht der Medontiden entstammenden Solon zum Schiedsmann (Diallaktes) bestimmten. Sein Gesetzeswerk war von der Idee des Ausgleichs, der Gerechtigkeit (Dike) und der "guten Ordnung" (Eunomia) geleitet. Den drängendsten Problemen, der Verschuldung und Versklavung der Kleinbauern, begegnete er mit einer allgemeinen Schuldentilgung. Darüber hinaus wurde durch das auch rückwirkende Verbot der Verpfändung der eigenen Person die Schuldknechtschaft beseitigt, die bereits ins Ausland verkauften Schuldsklaven wurden zurückgekauft. Diese Aufhebung der Versklavung bezog sich freilich nur auf athenische Bürger.

Neben weiteren Gesetzen, die der Förderung des Gewerbes und der politischen Aktivierung der Bürger dienen sollten, war die von Solon geschaffene Verfassungsform (später als Timokratie bezeichnet, in der politische Rechte vom Vermögen abhängig waren) von besonderer Bedeutung: Den drei Klassen der bestehenden Wehr- und Sozialverfassung, den Hippeis ("Reiter"/reiche Grundbesitzer), Zeugiten (Hopliten/mittlere Bauern und Handwerker) und Theten (Leichtbewaffnete/kleine Bauern und Handwerker, Lohnarbeiter), teilte Solon bestimmte Ernteerträge (gemessen in Scheffeln, etwa 52 Liter) zu und machte die politischen Rechte des einzelnen Bürgers von diesen Erträgen abhängig, wobei aus der Klasse der Hippeis noch die Spitzengruppe der Pentakosiomedimnoi (Fünfhundertscheffler) ausgegliedert wurde, denen zunächst das Archontat vorbehalten blieb.

Darüber hinaus soll Solon durch die Schaffung neuer politischer Institutionen, des Rats der 400 (Boule) und des Volksgerichts (Heliaia), dem Volk weitere Einflussmöglichkeiten gegeben haben. An der faktischen Machtverteilung änderte die timokratische Ordnung infolge der wirtschaftlichen Überlegenheit des Adels zunächst nichts, doch war sie insofern zukunftsweisend, als sie, der gesellschaftlichen Mobilität Rechnung tragend, politische Statusveränderungen mit wirtschaftlichen und sozialen verband. Solons Reformen haben zur Konsolidierung der Polis Athen beigetragen, die gesellschaftlichen und politischen Strukturen jedoch nicht radikal verändert.

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Tyrannis Peisistratos

Misst man Solons Reformen an seinem Ziel, der innenpolitischen Konsolidierung Athens, so sind sie gescheitert: Soziale Missstände wie die Not der Kleinbauern waren nicht beseitigt, der Machtkampf des Adels um das Archontat tobte in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. heftiger denn je. Nach der Überlieferung standen sich im innenpolitischen Kampf drei Gruppen gegenüber, die von den Adeligen Lykurg, Megakles und Peisistratos geführt wurden. Gestützt auf seine Anhängerschaft, Kleinbauern und Tagelöhner aus Ostattika und große Teile des Volks von Athen, die ihm in der Volksversammlung eine Leibwache bewilligte, ergriff der durch den Krieg gegen Megara (565) populäre Peisistratos 561/60 die Herrschaft in Athen, die er nach zweimaliger Vertreibung erst mit Hilfe auswärtiger Söldner dauerhaft etablieren konnte (539/38).

Der Tyrann ließ die geltende Polisverfassung bestehen, die höchsten Ämter blieben seiner Familie und Adligen, die sich seiner Herrschaft unterordneten, vorbehalten. Opponierende Adlige wurden z.T. verbannt oder gingen ins Exil. Peisistratos' faktische Macht beruhte auf Söldnertruppen und ausländischen Verbündeten. Seine bedeutendsten Leistungen waren: die offenbar gegen Reste der Adelsgerichtsbarkeit gezielte Einsetzung von lokalen Richtern, die großzügige Unterstützung der Kleinbauern durch Darlehen, die Gründung neuer Kolonien und eine umfangreiche Bautätigkeit. Auch wenn es sich hierbei um Maßnahmen zur Herrschaftssicherung gehandelt haben mag, so liegt dennoch die historische Bedeutung der Tyrannis des Peisistratos in der sozialen und ökonomischen Konsolidierung Athens, das in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Blüte erlebte.

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Nach dem Tod des Peisistratos 528 oder 527 übernahmen seine Söhne Hipparchos und Hippias die Herrschaft. Hipparchos wurde 514 aus persönlichen Gründen von den später als Tyrannenmördern verklärten Harmodios und Aristogeiton umgebracht, sein Bruder Hippias 510 gestürzt.

Auch in anderen griechischen Poleis etablierten sich im 7. und 6. Jahrhundert bedingt durch die Legitimationskrise des in Machtkämpfen verstrickten Adels, die steigenden sozialen Spannungen und die Emanzipationsbestrebungen der bäuerlichen Mittelschicht Tyrannenherrschaften. Am bekanntesten sind die Tyrannen Kypselos (660-28) und Periander (ca. 628-587) von Korinth, Kleisthenes von Sikyon (erstes Drittel des 6. Jahrhunderts), Lygdamis von Naxos (ca. 545-24) und Polykrates von Samos (538-22).

Man wird dieser "älteren Tyrannis" im Gegensatz zur ,jüngeren Tyrannis" des 4. und 3. Jahrhunderts nur gerecht, wenn der Tyrann nicht nur als machtgieriger Adliger, sondern auch als Werkzeug des aufbegehrenden Volkes gesehen wird. Die historische Funktion der Tyrannis war es, den Übergang von der Adelsherrschaft zum Verfassungsstaat der Hopliten, der waffenfähigen Bürger, zu ermöglichen. Die negative Bewertung der Tyrannis als Gewaltherrschaft und schlechteste aller Verfassungen ist historisch unzutreffend und beruht größtenteils auf späterer Überlieferung, die diese Herrschaftsform an der Demokratie des 5. Jahrhunderts maß.

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Kleisthenes

Nach dem Sturz des letzten Peisistratiden kam es in Athen im Jahr 508 v.Chr. erneut zu Machtkämpfen des Adels um das Archontat, in denen sich schließlich mit Unterstützung des durch Reformversprechungen gewonnenen Demos der Alkmeionide Kleisthenes, Archon 525/24, gegen seinen Widersacher Isagoras durchsetzen konnte.

Kern der kleisthenischen Reform, der ersten Repräsentativverfassung der Welt auf lokaler Grundlage, war eine neue Phylenordnung: Die vier alten Phylen, der politischen und militärischen Organisation Attikas dienende Personenverbände, behielten sakrale Aufgaben, doch schuf Kleisthenes zehn neue Phylen, die auf der Einteilung Attikas in drei Regionen: die Stadt Athen (Asty), das Binnenland (Mesogeion) und die Küste (Paralia), beruhten. Jede dieser Regionen war in zehn Untereinheiten (Trittyen) gegliedert. Die neuen Phylen, zusammengesetzt aus je einer Trittys aus Athen, dem Binnenland und der Küste, bildeten nun die Grundeinheit der politischen Vertretung (jede Phyle stellte 50 Abgeordnete für den neu geschaffenen Rat der 500) und der militärischen Organisation. Die neue Phylenordnung wurde ergänzt durch die Einteilung Attikas in 139 Gemeinden (Demen) als lokale Selbstverwaltungskörperschaften.

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Ob die Phylenreform in erster Linie die Erweiterung der kleisthenischen Gefolgschaft oder die Demokratisierung des immer noch von mächtigen Adelscliquen beherrschten Staatslebens zum Ziel hatte, ist unklar. Ihr Ergebnis war jedenfalls einmal die Schwächung der auf lokalen Gefolgschaften beruhenden politischen Macht des Adels und die Verhinderung von regionalen Parteibildungen, sodann die politische Aktivierung breiter Bevölkerungsschichten durch die Institution des Rats, dessen 500 Mitglieder jährlich wechselten.

Eine weitere bedeutende, von der späteren Überlieferung Kleisthenes zugeschriebene Neuerung war das Scherbengericht (Ostrakismos), das erstmals für das Jahr 487 belegt ist. Jedes Jahr wurde in einer Volksversammlung die Frage gestellt, ob ein Ostrakismos durchgeführt werden solle; fiel die Antwort positiv aus, so wurde etwa zwei Monate später in der Volksversammlung in der Art darüber abgestimmt, dass jeder Bürger (bei einem Quorum von 6000 Stimmen) den Namen eines Politikers auf eine Tonscherbe ritzte. Derjenige, auf den die Mehrheit der Stimmen entfiel, wurde für zehn Jahre ohne Verlust seines Eigentums aus Attika verbannt. So sollte vermutlich die langfristige persönliche Machtsteigerung einzelner Adliger verhindert werden.

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Perikles

Der Attische Seebund hatte Athen zu einer maritimen Macht werden lassen. Parallel zum Aufstieg der Stadt und durch diesen befördert vollzog sich die Ausbildung der sogenannten radikalen Demokratie. Die Vollendung dieses Prozesses ist vor allem das Werk von Ephialtes und Perikles. Deren Handeln muss als Reaktion auf die Politik des konservativen Aristokraten Kimon und der ihn stützenden oligarchischen Partei gedeutet werden, die in den siebziger und sechziger Jahren mit dem Areiopag die wichtigste politische Institution in Athen beherrschte. 462 v.Chr. nutzten die Reformer um Ephialtes die Abwesenheit Kimons zum Umsturz. Der Areiopag wurde entmachtet. Er behielt allein die Blutgerichtsbarkeit. Die politischen Funktionen des Adelsrates übernahmen die Volksversammlung (Ekklesia), der Rat der 500 (Boule) und das Geschworenengericht (Heliaia). Resultat der demokratischen Neuerungen in Athen war, dass der Demos (also die Gesamtheit der zu politischer Mitwirkung berechtigten Vollbürger, nicht jedoch die Metoiken und Sklaven) im Prinzip die Kontrolle über das gesamte öffentliche Leben erhielt.

Nach der Ermordung des Ephialtes (461) scheint Perikles (495/90-429) an die Spitze der Demokraten vorgerückt zu sein. Um möglichst viele Bürger am politischen Leben zu beteiligen, wurden den Amtsträgern, den Richtern sowie den Anwesenden bei der Ekklesia Diäten (Tagegelder) gezahlt. Dies war eine notwendige Maßnahme zum Ausgleich von Verdienstausfällen, die besonders Angehörige des vierten Standes trafen. Diese ärmere Bevölkerungsgruppe der Theten bekam sodann durch die Gewährung des "Schaugelds" (Theorikon) Gelegenheit zum Besuch der oft mehrere Tage dauernden Festlichkeiten und Theateraufführungen.

[entnommen aus: Helmut M. Müller u.a., Schlaglichter der Weltgeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1992]

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