Salzmarsch

Nach oben Kurzbiographie Satyagraha Salzmarsch

 

Vorbilder

Der Salzmarsch von 1930

Im Jahre 1930 begann Gandhi eine neue Kampagne, die Salz-Satyagraha. Gandhi und seine Anhänger machten sich vom Ashram Ahmedabad auf den Weg zum über 200 Meilen entfernten Arabischen Meer, wo er einige Salzkörner aus dem Ozean auflesen wollte. Diese Aktion war der symbolische Brennpunkt einer Kampagne bürgerlichen Ungehorsams, bei der zunächst das staatliche Salzmonopol übertreten wurde. Vor Beginn hatte Gandhi einen Brief an den Vizekönig gesandt "Lieber Freund (...) Ich halte die englische Herrschaft für einen Fluch (...) Ich beabsichtige nicht, auch nur einem Engländer ein Leid zuzufügen oder ihn in einem legitimen Interesse zu beeinträchtigen, das er hier in Indien verfolgen mag (...) Mein Ehrgeiz besteht in nichts Geringerem als darin, das englische Volk durch Gewaltlosigkeit zu bekehren und zu der Erkenntnis zu führen, welches Unrecht es Indien angetan hat. Ich beabsichtige nicht, verletzend zu Ihrem Volk zu sein. Vielmehr möchte ich ihm ebenso dienen wie meinem eigenen (...)"

Doch der Vizekönig antwortete nicht einmal persönlich. Am Abend des 11 März 1930 hielt Gandhi seine letzte Gebetsversammlung vor dem Marsch ab. "Nach allem, was ich während der letzten zwei Wochen erlebt habe, bin ich geneigt zu glauben, dass der Strom derer, die bürgerlichen Widerstand leisten wollen, nicht abreißen wird. Doch lasst auch nicht den geringsten Anschein entstehen, als wolltet ihr den Frieden brechen, selbst dann nicht, nachdem wir alle verhaftet worden sind. Wir haben beschlossen, alle Reserven für die Verfolgung eines ausschließlich gewaltlosen Kampfes einzusetzen. Lasst nicht zu, dass jemand im Zorn unüberlegt Handlungen begeht. Das ist meine Hoffnung und inständige Bitte. Ich wünschte nur, dass diese meine Worte jeden Winkel und jede Ecke des Landes erreichten."

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Die Aktion sollte sich über ganz Indien ausbreiten. Wo immer dies möglich war, sollte mit bürgerlichem Ungehorsam gegenüber den Salzgesetzen begonnen werden Es galt für gesetzwidrig, Salz herzustellen, wo auch immer die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Der Besitz und Verkauf von geschmuggeltem Salz (das natürliches Salz oder Salzerde mit einschloss) galt gleichfalls als Verstoß. Jedermann, der solches Salz verkaufte, machte sich strafbar. Von den natürlichen Salzablagerungen an der Küste etwas zu entnehmen und fortzutragen, galt nicht minder als Gesetzesbruch.

Für die Aktion standen Gandhi eine umfangreiche Gruppe gut ausgebildeter Satyagrahi zur Verfügung, gleich gut geschult zur Überwachung wie zur Propagandaarbeit in der breiten Menge. Sie wurden zusammengehalten durch ein gemeinschaftlich abgelegtes Gelübde und durch die Lebensregeln des "Ashram-im-Aufbruch", die drei Punkte umfassten: Gebet, Spinnen und das Führen eines Tagebuches. Sie hatten eine einheitliche Kleidung (eine Art Uniform aus Khaki) und trugen die Kopfbedeckung von Gefängnisinsassen.

Nach 24 Tagen Marsch am Indischen Ozean angekommen, hob Gandhi einige Brocken Salz auf — ein Signal, überall auf dem Subkontinent Gleiches zu tun. Das Rohmaterial wurde ins Landesinnere getragen, wo man es auf Hausdächern in Pfannen weiterverarbeitete und dann verkaufte. Über 50.000 Inder wanderten ins Gefängnis, weil sie gegen das Salzgesetz verstoßen hatten. Die ganze Aktion verlief ohne nennenswerte Gewalttätigkeiten, gerade dies erregte jedoch die Polizei.

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Der Bericht des englischen Journalisten Webb Miller, der eine Auseinandersetzung miterlebt hatte, ist zur klassischen Schilderung von Satyagraha in vorderster Kampflinie geworden. 2.500 Freiwillige marschierten auf die Salzwerke von Dhrasana zu:

"In vollkommenem Schweigen rückten Gandhis Männer vor und machten etwa hundert Meter vor den Absperrungen halt. Eine ausgewählte Kolonne löste sich aus der Menge, durchwatete die Wassergräben und näherte sich den Stacheldrahtverhauen (...) Auf ein Kommandowort stürzten sich plötzlich eine große Meute einheimischer Polizisten auf die vorrückenden Marschierer und ein Hagel von Schlägen, ausgeteilt mit stahlbeschlagenen Lathis (Schlagstöcken) ging auf ihre Köpfe nieder. Nicht ein einziger Marschierer erhob auch nur einen Arm, um die Schläge abzuwehren. Wie umgestürzte Kegel fielen sie zu Boden. Von dort aus, wo ich stand, konnte ich das Übelkeit erregende Aufkrachen der Knüppel auf ungeschützte Schädeldecken hören. Die wartende Menge stöhnte und sog bei jedem Schlag in nachempfundenem Schmerz scharf die Luft ein. Diejenigen, die niedergeschlagen wurden, fielen gleich zu Boden, bewusstlos oder sich windend, mit gebrochenen Schädeldecken oder Schultergelenken (...). Die bisher verschont Gebliebenen marschierten; ohne aus ihren Reihen auszubrechen, still und verbissen vorwärts, bis auch sie niedergemacht wurden. Sie schritten gleichmäßig voran, mit erhobenen Köpfen, ohne die Aufmunterung durch Musik oder anfeuernde Rufe und ohne dass ihnen die Möglichkeit gelassen wurde, schweren Verletzungen oder dem Tod zu entgehen. Die Polizei machte weitere Ausfälle und schlug auch die zweite Marschkolonne nieder. Es gab keinen Kampf, keine Handgreiflichkeiten; die Marschierer schritten einfach weiter vorwärts, bis auch sie niedergeschlagen wurden (...)"

Nach diesem Einsatz fiel den Männern in Uniform, die sich mit all ihrer überlegenen Ausrüstung schutzlos fühlten, nichts anderes mehr ein, als was uniformierte Männer in ähnlichen Situationen gleichsam wie eine "natürliche" Eingebung überkommt: wenn es ihnen nicht gelingen konnte, den Freiwilligen die Schädel einzuschlagen, so traten und schlugen sie ihnen jetzt in die Geschlechtsteile. "Stunde um Stunde wurden Ströme von bewegungslosen, blutenden Leibern auf Tragbahren zurückgetragen", so Webb Miller.

Was hatten die Satyagrahi erreicht? Sie konnten die Salzwerke nicht einnehmen; noch wurde die Salt Act in ihrer Gesamtheit formell aufgehoben. Doch dies, so begann der Welt langsam aufzugehen, war nicht der entscheidende Punkt. Die Salz-Satyagraha hatte der Welt den nahezu makellosen Gebrauch eines neuen Instruments friedlicher Militanz demonstriert.

[entnommen aus: Günther Gugel, Wir werden nicht weichen. Erfahrungen mit Gewaltfreiheit. Eine praxisorientierte Einführung, Verein für Friedenspädagogik e.V., Tübingen 1996, 51ff.]

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