Gewaltenverschmelzung
statt Gewaltenteilung
"Die
Legislative, ihrem Namen nach gewählt, um Gesetze zu machen, steht in
Wirklichkeit vor der Hauptaufgabe, eine Exekutive zu bilden und
aufrechtzuerhalten." Mit dieser visionären. Auffassung nahm Walter
Bagehot eine Eigenheit des Westminster Modells vorweg, als dessen
"verborgenes" Wesen und wirksames Geheimnis er die
"Fusion der legislativen und exekutiven Funktionen"
bezeichnete. Das Kabinett, das dem Unterhaus (House of Commons)
kollektiv verantwortlich ist und von der Bevölkerung nur im nachhinein
durch Wahl der Oppositionspartei sanktioniert werden kann, besteht wegen
des mehrheitsbildenden Wahlrechts in der Regel aus den Führern nur
einer Partei, ohne den Zwang zu Koalitionen. Das einfache
Mehrheitswahlrecht, das allerdings nur bei eindimensionalen sozialen
Konfliktlinien störungsfrei arbeitet, benachteiligt kleinere Parteien,
wird aber dennoch im Interesse der Bildung einer handlungsfähigen
Exekutive von einer großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert.
Die
britische Regierung, die nach zwingendem Brauch und Herkommen
ausschließlich aus Parlamentariern bestehen muss (und nicht wie im
präsidentiellen System aus parlamentsfremden Quereinsteigern
zusammengesetzt sein darf), verfügt über eine international
vergleichsweise ungewöhnliche formale (faktisch natürlich nach inner-
und zwischenparteilichen Konstellationen wechselnde) Machtfülle. Dazu
tragen bei:
1.
das eine Minderheit der Stimmen (meistens) in eine absolute Mehrheit der
Mandate verwandelnde Wahlrecht;
2. das Fehlen einer föderalistischen Gegenmacht;
3. das Fehlen eines Verfassungsgerichts (bei insgesamt angestiegener
Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit der Handlungen von Ministern im
Einzelfall durch die Gerichte);
4. die in der parlamentarischen Geschäftsordnung verankerte Kontrolle
des Unterhauses durch das Kabinett;
5. die Beschränkung der Vetomöglichkeiten des Oberhauses.
[aus:
Herbert Döring: Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems?
Westminster und Whitehall in der Ära Thatcher; in: Aus Politik und
Zeitgeschichte 28/1991]