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Entstehung und Entwicklung der Apartheid in SüdafrikaDer folgende Abschnitt stellt einen Versuch dar, die Entstehung der Apartheid und ihre Entwicklung auf wenigen Seiten zu skizzieren. Dabei trifft man auf verschiedene Probleme, angefangen beim Begriff der Apartheid: Ab wann spricht man von "Apartheid" und was verbirgt sich hinter dem Begriff? Ein anderes Problem ist die Gewichtung der ausschlaggebenden Faktoren für die Entwicklung: Welche Faktoren waren es letztlich, die die Entwicklung in eine bestimmte Richtung vorangetrieben haben? Der Begriff der Apartheid ist nicht erst von den afrikaansen Nationalisten mit dem Sieg der Nationalen Partei 1948 erfunden worden. Vielmehr war vieles von dem, was die Regierungen von diesem Zeitpunkt an auf rassenpolitischem Gebiet in Südafrika in die Wege leiteten, bereits in den Jahrzehnten zuvor unter dem Begriff der Segregation vorgebildet worden und wurde dann von den Nationalisten inhaltlich weiterentwickelt, verschärft und radikalisiert.
Die ersten Spuren eines südafrikanischen Rassismus sind wohl seit der Besiedlung der Kapregion durch Angehörige der Niederländisch-Ostindischen Kompanie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufzufinden. Die Handelsgesellschaft unterschied zwischen Angestellten der Kompanie, sogenannten Freien Bürgern, Sklaven und Fremden ("Buschmänner und Hottentotten"). Die Gruppe der Weißen oder Europäer existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Tendenz der Kompanie im Verlauf des 18. Jahrhunderts, nur Weiße als Kompanieangestellte zu rekrutieren, stärkte das weiße Gruppenbewusstsein und ließ die Kompanieangestellten und die freien Bürger zusammenrücken. Mit der Zeit festigte sich eine soziale Hierarchie, an deren Spitze sich die Kompanieangestellten und die freien Bürger befanden, am unteren Ende hingegen die Schwarzen und die Sklaven. Zweifellos nährte sich die weiße Gruppenidentität aber auch aus religiösen Wurzeln. Als Merkmale von Zivilisation galten den Weißen Christentum und elementare Bildung. Folglich begriff sich ein Weißer bzw. Christ als höherwertig als ein "Kaffer" bzw. Heide. Verunsichert durch die Sklavenbefreiung, die Einmischung der neuen britischen Herren in Kapstadt und das Auftreten schwarzer Banden, machten sich von 1837 bis 1846 etwa 10.000 Menschen im legendären Treck gen Norden bzw. Nordosten auf und gründeten dort die Afrikaaner-Republiken Transvaal (1852) und Oranje-Freistaat (1854), in denen das weiße Überlegenheitsgefühl unmittelbaren Niederschlag in der Wahlgesetzgebung fanden: Nur Weiße waren stimmberechtigt! Dieser sehr grobe Überblick über die Wurzeln des südafrikanischen Rassismus konzentrierte sich bislang nur auf die Spuren des Rassismus der Afrikaaner, da diese ja die Apartheid des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltet haben. Der Vollständigkeit halber sollte auch ein kurzer Blick auf das britisch geprägte Gebiet Natal geworfen werden, in dem der Schotte Sir Theophilus Shepstone als Staatssekretär für Eingeborenenangelegenheiten eine klare territoriale Trennung der schwarzen und weißen Bevölkerung beabsichtigte, um dadurch der Zersetzung der schwachen schwarzen Kultur durch die starke weiße Kultur entgegenzuwirken. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Afrikaanern und schwarzen Stämmen sowie die legislatorische Entwicklung im britisch geprägten Natal und den beiden Afrikaaner-Staaten Transvaal und Oranje-Freistaat legten also den Grundstein für eine auf radikale Trennung der Rassen ausgerichtete Politik der Weißen in Südafrika seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte man in den Bergen des Witwatersrand-Gebietes rund um das spätere Johannesburg die ersten Goldvorkommen, die zusammen mit den Diamanten einen enormen wirtschaftlichen Transformationsprozess in Südafrika bewirkten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wandelte sich Südafrika von einem reinen Agrarstaat über einen Agrar- und Minenstaat hin zu einem Land geprägt von Industriewirtschaft. Auf der Suche nach Arbeit strömten landlose Weiße, vor allem Afrikaaner, und schwarze Arbeitskräfte in das Gebiet rund um Johannesburg. Für die Herausbildung der Segregationspolitik ist der südafrikanische Verstädterungs- und Industrialisierungsprozess von entscheidender Bedeutung. Denn in den Ballungsgebieten am "Rand" war der junge Afrikaaner — charakterisiert durch seine ländliche Mentalität und sein rassisches Überlegenheitsgefühl — plötzlich gezwungen, seine Arbeitskraft im erbarmungslosen Wettbewerb mit den Massen billigst arbeitender Schwarzer zu verkaufen. Es kam im südafrikanischen Wirtschaftsleben nie zu einer gemeinsamen Klassenbildung schwarzer und weißer Arbeiter in den Industriegebieten. Auch weigerten sich die Afrikaaner, ihre Arbeitskraft zu demselben Lohnniveau wie die Schwarzen anzubieten, und versuchten, anstatt gemeinsam für eine Lohnsteigerung zu kämpfen, die Garantie weißer Vorrechte bei den Gewerkschaften und Parlamentariern zu erreichen. 1910 erhielten mit der Gründung der Union von Südafrika nur männliche Weiße das Wahlrecht. Diese Zeit kann als die Periode in der südafrikanischen Geschichte bezeichnet werden, in der die grundlegenden Vorstellungen bezüglich der Rassentrennungspolitik geklärt wurden und das südafrikanische Parlament begann, die Rassentrennung gesetzlich zu kodifizieren. Die Flut von Gesetzen und Verordnungen von etwa acht Jahrzehnten Apartheid können grob in vier Kategorien unterteilt werden.
[Mehr und detailliertere Informationen zu den Apartheidgesetzen enthält der Abschnitt Bestandteile der Apartheid?] Eine zusammenfassende Rückschau auf die Apartheid-Politik seit dem Machtantritt der Nationalen Partei im Jahre 1948 stellt sich folgendermaßen dar: Unter den Premierministern Malan (1948-1954) und Strijdom (1954-1958) strebte die Verwaltung Südafrikas nach "Wit baasskap", nach der Vorherrschaft des weißen Mannes im täglichen Leben und in der Politik. Alle Gebräuche und Konventionen der vormaligen Segregationspolitik wurden nun zu Gesetzen der Apartheid. Diese Periode kann als Höhepunkt der "petty" Apartheid, der kleinen Apartheid, gesehen werden, welche die Diskriminierung der Nicht-Weißen auch Außenstehenden offenkundig machte. In der Ära H.F. Verwoerd (1958-1966) genoss die Rassentrennungspolitik Priorität. Die ehemaligen Stammesgebiete sollten zu unabhängigen Staaten, den Homelands, umfunktioniert werden und dadurch ein kleines, reiches, weißes Südafrika geschaffen werden. Doch Verwoerds Rechnung ging nicht auf: Das Problem der Millionen von Schwarzen in den Städten und das Ausbleiben der internationalen Anerkennung der Homelands machten der Regierung einen Strich durch die Rechnung. International wuchs während Verwoerds Regierungszeit die Kritik stark an, was allerdings noch kaum Konsequenzen nach sich zog. Lediglich kosmetische Korrekturen wurden gemacht, so dass nicht mehr von Apartheid, sondern von "getrennter Entwicklung" die Rede war. Die "Abteilung für Eingeborenenangelegenheiten" wurde nun in "Abteilung für Zusammenarbeit und Entwicklung" umbenannt. In der Regierungszeit von Vorster (1966-1978) geriet Südafrika zunehmend in die Isolation. 1976 kam es zu einem Aufstand der Schwarzen in Soweto, dem Township von Johannesburg und auch die ehemals befreundeten Kolonien Angola und Mosambique wandelten sich zu "Frontstaaten" und erklärten Südafrika den Krieg. Um die Isolation zu durchbrechen, wurden erste Gespräche mit Nicht-Weißen eingeleitet und die meisten Gesetze der "petty" Apartheid wurden 1974 fallengelassen.
Damit war das Ende der Apartheidpolitik gekommen. In der Folgezeit galt es, eine neue Verfassung zu konzipieren für ein gemeinsames, demokratisches Südafrika. Im April 1994 ging Nelson Mandela als Präsident aus den ersten allgemeinen Wahlen Südafrikas hervor. [Mehr Informationen zum Ende der Apartheid bietet der Abschnitt Wie wurde die Apartheid überwunden?; weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Widerstandsbewegung und mit der Situation in Südafrika heute] [Autoren: Ragnar Müller / Marija Ugarkovic]
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