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Beispiel für ein nicht-patriarchales Gesellschaftssystem: Die Irokesen Das Patriarchat ist das Produkt einer jahrtausendealten historischen Entwicklung. Doch es gab und gibt auch andere Gesellschaftsformen. Ein "Matriarchat" im Sinne einer Herrschaft von Frauen über Männer hat es aber wahrscheinlich nie gegeben. Bei vielen Urvölkern jedoch bilden die Frauen als Verkörperungen des lebensspendenden Prinzips den Mittelpunkt der Gemeinschaft. Das führt jedoch nicht zu einer Randstellung der Männer, da gleichzeitig auf ausgeglichene Handlungssphären zwischen den Geschlechtern geachtet wurde. Die Irokesen — ein Indianervolk, das vor Ankunft der Weißen an der Hudson-Bay siedelte — sollen hier als Beispiel für ein nicht-patriarchales System dargestellt werden. Ihr Zusammenleben inspirierte den französischen Aufklärer Rousseau zu seiner Theorie der "edlen Wilden".
Die Clanmutter wurde in der Clanversammlung gewählt. Die Söhne und Töchter blieben zeitlebens im mütterlichen Clanhaus wohnen. Bei einer Heirat besuchte der Mann die Frau zeitweise in deren Clanhaus. Ehen konnten leicht gelöst werden. Frauen unterlagen keinem Sittlichkeits- und Jungfräulichkeitsgebot, da alle Kinder als Kinder der Mutter und des Mutterclans betrachtet wurden. Die biologische Vaterschaft der Kinder war weniger wichtig als die soziale Vaterschaft, die meist ein Bruder oder anderer Verwandter der Mutter den Kindern gegenüber ausübte. Auch das Ackerland gehörte den Frauen, das sie gemeinsam bewirtschafteten. Die Männer sorgten durch Jagen, Fischen und Handel für willkommene Zutaten. Der politische Willensbildungsprozess im Clan vollzog sich durch getrennte Versammlungen der Männer und Frauen. Anschließend suchte man eine Konsensbildung beider Gruppen. In der Versammlung der Frauen hatten die Frauen umso mehr Stimmgewicht, je mehr Kinder sie geboren hatten. Auch im Stammesrat und im Rat der Liga, dem höchsten Gremium der vereinigten fünf Irokesenstämme, waren Frauen und Männer gleichrangig vertreten. Kriege waren Sache der Männer; es gab allerdings vor Ankunft der Europäer in Amerika keine organisierte Kriegsführung bei den Irokesen. Gefangene Krieger eines feindlichen Stammes wurden nicht zwingend getötet, sondern es wurde zunächst geprüft, ob sie anstelle eines eigenen gefallenen Kriegers in dessen Clan leben konnten. Diese Prüfung war Sache der Frauen. Es gab keinerlei sexuelle Gewalt, weder an Gefangenen noch innerhalb der Clanhäuser. Nach dem Sieg der weißen Amerikaner wurden die Irokesen in enge Reservate zusammengedrängt, wo sie vor allem in Kanada ihre kulturellen Eigenarten einbüßten. 1847 wurden alle Irokesen, auch Männer, zum Ackerbau gezwungen und die Kernfamilie unter männlicher Führung zur ökonomischen Grundeinheit erklärt; 1869 verankerte ein Gesetz in Kanada die Patrilinearität der Stämme. [Autorin: Dorette Wesemann, Redaktion: Ragnar Müller]
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