Typen

 

Demokratie

Die scheinbar einfache Frage "Was ist Demokratie?" lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Einen ersten Eindruck verschaffen Definitionen (siehe Lexikon). Das liegt zum einen daran, dass man bereits auf einer sehr grundlegenden Ebene zwei Herangehensweisen unterscheiden kann, nämlich Identitäts- und Konkurrenztheorie der Demokratie (siehe Theorie). Zum anderen haben sich im Lauf der Geschichte verschiedene Demokratietypen herausgebildet, um die es in diesem Abschnitt gehen soll. Auf einer weiteren Seite wird der Versuch unternommen, demokratische Systeme von totalitären und autoritären abzugrenzen (Abgrenzung). Neben den folgenden Texten steht das Glossar zur Verfügung, in dem die wichtigsten Typen kurz erläutert werden. Zwei Schaubilder veranschaulichen die Einteilung der verschiedenen Typen:

[Seitenanfang]

horizontal rule

Buchauszug

Parlamentarisches und präsidentielles Regierungssystem

In Repräsentativdemokratien wie dem parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystem übt das Volk die Herrschaft nicht direkt aus, sondern es überträgt sie auf Organe, die im Namen des Volkes die Regierungsgeschäfte wahrnehmen. Großbritannien gilt als das Ursprungsland des parlamentarischen Regierungssystems, dem häufigsten Typus der konstitutionellen Systeme. Die meisten westeuropäischen Staaten gehören ebenfalls einer solchen politischen Ordnungsform an, während die Vereinigten Staaten von Amerika dem Modell eines Präsidialsystems entsprechen.

Stellt man das präsidentielle und das parlamentarische Regierungssystem einander gegenüber, so ergeben sich folgende formale Unterschiede:

bullet

Präsident und Kongress werden im Präsidialsystem der Vereinigten Staaten in getrennten Wahlen bestellt, während im parlamentarischen Regierungssystem eine einzige Wahl über die Zusammensetzung von Parlament und Regierung entscheidet, auch wenn die Möglichkeit unterschiedlicher Koalitionen gegeben ist.

bullet

Die Regierung wird im parlamentarischen Regierungssystem vom Parlament bestellt, und sie kann von ihm auch wieder abberufen werden. Dem amerikanischen Kongress steht dieses Abberufungsrecht im Normalfall nicht zu. Er kann den Präsidenten nicht wegen politischer Meinungsverschiedenheiten oder wegen veränderter Mehrheiten stürzen. Nur für den Fall, dass ein Präsident sich strafbarer Vergehen schuldig gemacht hat, kann das Repräsentantenhaus gegen ihn Klage (impeachment) erheben, und der Senat kann ihn daraufhin mit Zweidrittelmehrheit seines Amtes entheben.

bullet

Umgekehrt fehlt dem Präsidenten ein wichtiges Disziplinierungsmittel gegenüber dem Kongress. Er kann ihn nicht — wie zum Beispiel der britische Premierminister das Unterhaus — auflösen und Neuwahlen ausschreiben.

bullet

Während der Premierminister in Großbritannien, dem Land des klassischen parlamentarischen Regierungssystems, dem Unterhaus angehören muss, verlangt die Verfassung der Vereinigten Staaten eine Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) von Regierungsamt und Parlamentsmandat. Der Präsident und die Mitglieder seiner Regierung — mit der Ausnahme des Vizepräsidenten, der gleichzeitig Vorsitzender des Senats ist — dürfen also keinen Sitz im Kongress innehaben.

bullet

Im parlamentarischen Regierungssystem besteht eine geteilte Exekutive. Die repräsentativen Staatsaufgaben liegen in den Händen eines Präsidenten oder eines Monarchen; die eigentliche Regierungsmacht bleibt für den Regierungschef — den Premierminister, Kanzler oder Ministerpräsidenten — reserviert. In den Vereinigten Staaten hingegen vereinigt der Präsident die Funktionen des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs in einer Person.

bullet

Dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ist formal — nicht aber in der Verfassungswirklichkeit — die Möglichkeit der Gesetzesinitiative verschlossen. Er besitzt nur die Möglichkeit, Gesetzesbeschlüsse des Kongresses mit seinem Veto zu belegen. Das Veto des Präsidenten kann allerdings mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses überstimmt werden. Die Regierung in einem parlamentarischen Regierungssystem hat hingegen die Möglichkeit der Gesetzesinitiative, und sie hat teilweise auch (...) ein absolutes Vetorecht gegen Ausgabengesetze.

[Seitenanfang]        [zurück zur Übersicht]

"Mischformen"

Es gibt jedoch eine Anzahl von westlichen Demokratien, die unter diese beiden Regierungssysteme nur schwer unterzuordnen sind. Zwei weitere Typen sind deshalb nötig:

bullet

Zum einen gibt es Regierungssysteme (...), in denen dem Staatspräsidenten eine weit gewichtigere Rolle zukommt als in den parlamentarischen Regierungssystemen. Der Staatspräsident wird in solchen Systemen, für die sich der Ausdruck "semipräsidentielles Regierungssystem" durchgesetzt hat, durch direkte Wahlen bestimmt; er hat einen bedeutenden Einfluss auf die Regierungsbildung und weitere wichtige Kompetenzen. Die Regierung ist aber nicht vom Staatspräsidenten allein abhängig, sondern gegenüber dem Parlament verantwortlich und von ihm absetzbar. Neben den Regelungen der Verfassungen spielen in solchen Systemen die Struktur des Parteiensystems und die aktuellen Mehrheitsverhältnisse eine gewichtige Rolle (...).

bullet

In der Schweiz existiert eine sogenannte Direktorialverfassung, die Eigenheiten des präsidentiellen und des parlamentarischen Regierungssystems miteinander verbindet. Das Parlament wählt zwar die Regierung, kann sie aber während der Legislaturperiode nicht abwählen. Der Regierung steht umgekehrt kein Auflösungsrecht gegenüber dem Parlament zu. Regierungsamt und Abgeordnetenmandat sind unvereinbar. Die Regierung bildet ein Kollegialorgan. Die Funktion des Bundespräsidenten wird in einem festgelegten Rhythmus von einem Mitglied der Regierung mitübernommen. Die Regierung hat — im Gegensatz zum Präsidialsystem — auch formell die Möglichkeit der Gesetzesinitiative.

[Seitenanfang]        [zurück zur Übersicht]

Trotz der Unterschiede dieser verschiedenen Systeme, die im wesentlichen die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung betreffen, haben die Parlamente mit einer Ausnahme ähnliche Funktionen, nämlich:

bullet

Gesetzgebung einschließlich der Bewilligung des Haushaltes;

bullet

Kontrolle der Regierung;

bullet

Repräsentation beziehungsweise Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen;

bullet

Willensbildung, das heißt aktives Einwirken auf die Meinung der Bevölkerung durch Offenlegung der Argumente, die hinter den getroffenen Entscheidungen stehen; und mit Ausnahme der Parlamente im präsidentiellen Regierungssystem und mit Einschränkung auch derjenigen in den semipräsidentiellen Systemen und in der Direktorialverfassung;

bullet

Wahl beziehungsweise Sturz der Regierung.

[Emil Hübner; entnommen aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Parlamentarische Demokratie 1, Informationen zur politischen Bildung Nr. 227, 1993]

[Seitenanfang]        [zurück zur Übersicht]

horizontal rule

Buchauszug

Die verschiedenen Arten der Demokratie

Demokratische politische Ordnungen der Gegenwart

Zu unterscheiden sind (...) die repräsentative (parlamentarische und präsidiale) Demokratie, und solche demokratischen Ordnungen, die einzelne Elemente der repräsentativen und der direkten Demokratie miteinander verbinden.

Repräsentative Demokratie

Die Bundesrepublik Deutschland ist wie Großbritannien eine repräsentative parlamentarische Demokratie. Ihre Verfassung enthält (...) keinerlei plebiszitäre Elemente (...).

Präsidialdemokratie: USA

Als Beispiel einer Präsidialdemokratie sollen die USA dienen. Ihr Kennzeichen ist die strikte Trennung von Parlament und Regierung. Der Präsident als Chef der Exekutive geht aus einem Wahlgang hervor, der mit den Parlamentswahlen nichts zu tun hat. Gleichzeitige Zugehörigkeit zu Regierung und Parlament ist nicht möglich. So wie das Parlament keine Möglichkeit hat, dem Präsidenten das Misstrauen auszusprechen und ihn zu stürzen, hat umgekehrt der Präsident kein Auflösungsrecht. Nur über eine Präsidentenanklage im Falle von Rechtsverletzungen wäre es möglich; ihn vorzeitig aus dem Amt zu entfernen. Das ist in der Geschichte der Vereinigten Staaten erst einmal im 19. Jahrhundert geschehen. Richard Nixon trat 1978 vor Erhebung einer solchen Anklage zurück. Die strikte Trennung zwischen Parlament und Regierung führt dazu, dass der Präsident nicht auf eine ständige Mehrheit rechnen kann. Um Gesetzesvorhaben durchzubringen; bedarf es wechselnder Mehrheiten, die durch Einflussnahme und Verhandlungen zusammengebracht werden müssen. Kompromissbereitschaft und Fähigkeit zum Ausgleich auf beiden Seiten sind die Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems (...).

[Seitenanfang]        [zurück zur Übersicht]

Formen direkter Demokratie: Schweiz

Als Beispiel für eine direkte Demokratie wird häufig die Schweiz genannt. Bei näherer Betrachtung ist diese Behauptung nicht haltbar, wenn auch die direkte Demokratie besonders in Form von kantonalen Volksabstimmungen eine große Rolle spielt. Die Verfassung der Schweizer Eidgenossenschaft von 1848 (revidiert 1874) kennt als oberstes Organ die Bundesversammlung, die aus dem Nationalrat (Unterhaus) und dem Ständerat (Vertretung der Kantone) besteht. Der Bundesrat — die Regierung — wird auf vier Jahre von der Bundesversammlung gewählt und hat ihr gegenüber eine nicht sehr starke Stellung. Die schweizerische Verfassung weist dem Parlament eindeutig die wichtigste Rolle zu. In der Verfassungswirklichkeit hat sich die Regierung, genauso wie in anderen Demokratien, zur bedeutendsten der drei Gewalten entwickelt. Da der Bundesrat die Bundesversammlung nicht auflösen, und diese den Bundesrat nicht stürzen kann, ergibt sich in der Verfassungswirklichkeit eine starke Stellung des Bundesrates, dessen Mitglieder über lange Zeit hinweg im Amte bleiben. Die Kontrolle sowohl über das Parlament als auch über die Regierung wird von den Wahlberechtigten ausgeübt. Aktivbürger stimmen in Volksentscheiden nicht nur über Verfassungsänderungen ab, sondern haben auch das Recht, verschiedene Gesetze durch Volksentscheid aufzuheben und durch Volksbegehren die gesetzliche Regelung bestimmter Fragen zu verlangen. Wenngleich die repräsentativen Elemente in der schweizerischen Verfassung stark sind, so sind die plebiszitären Elemente kaum schwächer (...).

[Seitenanfang]        [zurück zur Übersicht]

Ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen der Weimarer Republik haben sich die Elemente der direkten Demokratie in der Schweiz bewährt. Sie haben nicht zur Revolution oder zum Chaos geführt, sondern eher einen bewahrenden Charakter gehabt. Die Auffassung, dass in der Demokratie die Staatsgewalt vom Volke ausgehe — das Volk als "pouvoir constituant" — ist in der Schweiz am stärksten verwirklicht. Die Wahlbevölkerung besitzt die meisten direkten politischen Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten von allen Demokratien, aber zur Funktion des Regierungssystems sind Repräsentativorgane unerlässlich (...).

Der historische Rückblick und die Betrachtung der verschiedenen demokratischen Ordnungen der Gegenwart lehren, dass "Demokratie" zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich verstanden und praktiziert wird. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Demokratie weder als Idee noch als staatlich verfasste Ordnung statisch ist, sondern Veränderungen unterliegt.

[Hans-Helmuth Knütter, entnommen aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Demokratie, Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992]

[Seitenanfang]

 

horizontal rule

News    II    Produkte    II    Unterrichtsmaterial

Themen: Web 2.0  I  Menschenrechte  I  Vorbilder  I  Update: Demokratie  I  Parteien  I  Europa  I  Globalisierung  I  Vereinte Nationen  I  Nachhaltigkeit

Methoden:    Politikdidaktik    II    Friedenspädagogik    II    Methoden
 

     


Dieses Onlineangebot zur politischen Bildung wurde von agora-wissen entwickelt, der Stuttgarter Gesellschaft für Wissensvermittlung über neue Medien und politische Bildung (GbR). Bei Fragen oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an uns. Trägerorganisation des Bildungsprogramms D@dalos ist der Verein Pharos Stuttgart/Sarajevo.