Souveränität

 

Demokratie

Der folgende Text widmet sich der Frage, wie Wahlen und Volkssouveränität zusammenhängen. Inwiefern kann Demokratie unter den Bedingungen moderner, pluralistischer Gesellschaften Volksherrschaft sein? Dabei werden unter anderem auch die Bedingungen für demokratische Wahlen in den Blick genommen.

Demokratie als Volksherrschaft? Bedingungen für eine demokratische Wahl
Volkssouveränität durch Wahl Das Mehrheitsprinzip

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Buchauszug Volkssouveränität: Legitimation der Herrschaft durch das Volk

Demokratie als Volksherrschaft? Die Lehre von der Volkssouveränität

Fragt man nach den einzelnen Elementen, aus denen ein demokratisches Gemeinwesen aufgebaut ist, dann stößt man auf den Satz, dass Demokratie Herrschaft des Volkes sei. Nichts anderes besagt die Übersetzung des griechischen Wortes "demokratia". In jeder demokratischen Verfassung findet sich denn auch in dieser oder jener Form die Aussage, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehe und dass das Volk der letzte Träger aller Souveränität sei. Demokratisch legitimiert ist demnach die Staatsgewalt nur dann, wenn sie sich vom freien Willen und der Zustimmung des Volkes getragen weiß.

Die Lehre von der Volkssouveränität löste die traditionelle Vorstellung ab, nach der dem König oder Fürsten kraft seiner Abstammung aus einer von Gott begnadeten Dynastie die Herrschaft zustehe. Staatliche Autorität war im dynastischen Gottesgnadentum also nicht von der Gesellschaft her begründet, sondern durch Herkommen, Überlieferung und religiöse Vorstellung geheiligt, von mythischen Kräften getragen und nach Prinzipien gestaltet, die dem Zugriff der Bürger entzogen waren. In dieser grundsätzlichen Trennung von Herrscher und Beherrschten liegt der Kern des Gegensatzes von Demokratie und Monarchie. Die Demokratie sieht im Staate nicht eine von übernatürlichen Kräften eingesetzte und also hinzunehmende obrigkeitliche Herrschaft, sondern erkennt ihn als Ausfluss des Willens aller beteiligten Individuen zur Lösung der gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben. In diesem Sinne sind Form und Inhalt des Staates den Bürgern nicht vorgegeben, sondern aufgegeben. Ihrer aller Kompetenz zu dieser Aufgabe, von deren Lösung alle ebenfalls betroffen sind, drückt sich im Gedanken der Volkssouveränität aus.

(...) Dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, bedeutet freilich nicht, dass das Volk auch regiert und bei allen Einzelheiten der politischen Entscheidungen mitwirkt, selbst wenn das in der formalen Konsequenz des demokratischen Gedankens läge. Nur auf diese Weise ließe es sich ja verwirklichen, dass der Bürger allein seinen eigenen Gesetzen und Befehlen gehorchen müsste und insofern wirklich frei bliebe. Aber diese Identität der Regierenden und Regierten hat es im strengen Sinne des Wortes nie wirklich gegeben, obwohl die historischen Frühformen der Demokratie im antiken Griechenland an Modellen einer "direkten Demokratie" orientiert waren und noch Rousseau nur diese als Demokratie gelten lassen wollte.

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Volkssouveränität durch Wahl

(...) Wenn so aus äußeren und inneren Gründen die Regierung des Volkes durch das Volk in unserer Zeit eine Unmöglichkeit ist, dann bleibt als Konkretisierung der Volkssouveränität vor allem die Wahl von Vertretungskörperschaffen oder Repräsentanten, die dann die Regierung nach dem Willen des Volkes und mit seiner Zustimmung verantwortlich führen. Die Entscheidung der detaillierten Sachfragen wird gewählten Vertretern überlassen; der Wähler hat nur zwischen den ihm von den Parteien präsentierten Kandidaten zu entscheiden und diejenigen auszuwählen, von denen er in der Regel aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit glaubt, dass sie die Politik im Sinne seiner Überzeugung und Interessen führen werden.

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Bedingungen für eine demokratische Wahl

Wer freilich durch den Akt der Wahl dem Willen des Volkes Geltung verschaffen und so die Wahl zum entscheidenden Instrument einer Konkretisierung der Volkssouveränität machen will, muss gewisse unabdingbare Forderungen stellen. Es wird nur dann gelingen, die Gewählten an den Willen ihrer Wähler zu binden, wenn sie in periodischen Abständen gezwungen werden, sich erneut zur Wahl zu stellen, um sich die Zustimmung der Wähler für ihre bisherige Arbeit und einen Auftrag zur Fortsetzung zu holen. Nur dadurch sind die Gewählten gehalten, die Überzeugungen und Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler zu respektieren. Ferner muss das Wahlvolk auch wirklich auswählen können. Die Wahl muss ihm verschiedene sachliche oder persönliche Alternativen bieten. Einheitslisten sind ein Symptom der Diktatur.

(...) Ein Regierungssystem, das allen Bürgerinnen und Bürgern in gleicher Weise die Chance zu verantwortlicher Mitbestimmung bei der Lösung der öffentlichen Aufgaben gewährleisten soll, muss neben der Periodizität und der echten Auswahlmöglichkeit auch die Allgemeinheit der Wahl sicherstellen. Zwingend folgt aus dem Gebot der Gleichheit, dass das Stimmrecht grundsätzlich allen Bürgern zusteht. Niemand darf etwa wegen seiner Rasse, seiner Religion, seines Bildungsstandes oder seiner Besitz- und Einkommensverhältnisse vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Lediglich einige formale Zulassungsbedingungen, wie etwa das Erreichen eines bestimmten Lebensalters, die von allen Staatsbürgern ohne Diskriminierung einzelner oder einzelner Gruppen leicht erfüllt und allgemein akzeptiert werden können, sind ohne Verletzung der demokratischen Prinzipien möglich.

Eng verknüpft mit dem Prinzip der Allgemeinheit ist das Prinzip der Gleichheit der Wahl.

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(...) In einer offenen und pluralistisch gegliederten Gesellschaft mit ihrem ständig fluktuierenden Gegeneinander und Nebeneinander prinzipiell gleichberechtigter Gruppen ist zudem das allgemeine und gleiche Wahlrecht das einzig denkbare Verfahren zur Bestellung von Vertretungskörperschaften und zur Besetzung der staatlichen Führungsspitzen in einer Weise, die von allen Gruppen akzeptiert werden kann. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht hat sich durchgesetzt, nicht weil mit seiner Hilfe die "beste" Regierung ins Amt käme, sondern weil es sich als die relativ beste und praktikabelste Methode zur Sicherung des sozialen Friedens bewährt hat. Sie gewährt jedem Anteil an der Regierungsbestellung und lässt der unterlegenen Minderheit prinzipiell die Chance, später selbst zur regierenden Mehrheit zu werden. In einer durch vielfache Interessen- und Überzeugungskonflikte gespaltenen Gesellschaft schuf diese Wahl die Möglichkeit, die Konflikte auf gewaltlosem Weg auszutragen und trotz innerer Spannungen eine entscheidungsfähige Regierung zu ermöglichen, deren Führung von allen Gruppen hingenommen werden kann. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht ist eines der erfolgreichsten Verfahren, um eine politische Gemeinschaft innerlich zu einigen und handlungsfähig zu machen.

Um demokratischen Ansprüchen zu genügen, bedarf dieses allgemeine und gleiche Wahlrecht jedoch noch zusätzlicher Sicherungen. Jeder Zwang auf den Wähler, seine Stimme in einer bestimmten Richtung abzugeben, muss ausgeschaltet werden. Das heißt nicht, dass die politische Propaganda und Beeinflussung verboten sei. Es soll nur die tatsächliche Entscheidungsfreiheit des Wählers gesichert werden. Das ist der Sinn der geheimen Abstimmung. Solange diese garantiert ist, solange unbekannt bleibt, wie der einzelne gewählt hat, kann ihm auch wegen der Art seiner Abstimmung kein Nachteil zugefügt werden.

Nur wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, die sinngemäß auch für das passive Wahlrecht gelten — auch das Recht und die Chance, politische Wahlämter zu übernehmen, muss jedem offenstehen —, kann man von einer demokratischen Wahl sprechen. Diese allein kann ein Parlament befähigen, im Namen des Volkes zu handeln. Nur diejenige Regierung, die sich auf freie Wahlen dieser Art stützen kann, übt eine demokratisch legitimierte Macht aus.

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(...) In der modernen Politik ist oft vom Willen des Volkes die Rede, ohne dass allerdings klar ist, was darunter denn eigentlich zu verstehen sei. Rousseau hatte geglaubt, einen einheitlichen Volkswillen konstruieren zu können; dieser sollte identisch sein mit dem Gemeinwohl. Freilich war auch er schon gezwungen, in der politischen Theorie den Willen der Mehrheit mit dem Gemeinwillen gleichzusetzen und die abweichende Minderheit zu unterdrücken, da sie den falschen Willen habe.

Nach unseren Erwägungen über den Charakter der pluralistischen Gesellschaft wird unmittelbar einleuchten, dass es einen einheitlichen Volkswillen in der Wirklichkeit ebensowenig gibt wie eine einheitliche Weltanschauung. Was sich als Wille des Volkes durchsetzt, ist immer der Wille der stärkeren Kräfte in ihm. Wir sind nicht mehr so optimistisch wie Rousseau, den Willen der Mehrheit einfach mit dem Allgemeinwohl zu identifizieren. Wir sind zu oft darüber belehrt worden, dass auch Mehrheiten irren können. Deshalb ist ein Regierungssystem erforderlich, das die Minderheit nicht unterdrückt, sondern respektiert, aber dennoch den Mehrheitswillen befolgt, weil dieser dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen unter den Notwendigkeiten eines gemeinsamen Lebens am weitesten entgegenkommt.

Weil politisches Handeln immer in eine offene Zukunft hinein geschieht, bleibt es stets von Unsicherheit belastet, ein Wagnis, das nie exakt in allen Konsequenzen vorausberechnet werden kann. Wer kann, abgesehen von extremen Fällen, mit absoluter Gewissheit sagen, diese oder jene Handlung fromme dem Allgemeinwohl besser als eine andere? Wer kann das Gemeinwohl endgültig definieren, wenn er nicht weiß, wie die Geschichte weitergeht? Weil wir die Zukunft nicht kennen, müssen über die Grundfragen des Politischen alle befragt werden, und deswegen bleibt in einer demokratischen Gesellschaft nur die Orientierung am Willen der Mehrheit unter Rücksichtnahme auf die unterlegene Minderheit, der die Chance, Mehrheit zu werden, offenbleiben muss.

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Das Mehrheitsprinzip

Wie die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht ist auch das Mehrheitsprinzip die einzig mögliche Konsequenz aus dem demokratischen Menschenbild, das von einem mündigen Menschen in einer freien Welt ausgeht und zugleich von den unaufhebbaren Meinungs- und Interessenkonflikten unter den Menschen weiß. Die Anerkennung des Mehrheitsprinzips bedeutet nicht, dass der verantwortliche Politiker nur jeder populären Massenmeinung nachzulaufen habe. Aber grundsätzlich gilt, dass das Prinzip der Volkssouveränität nur durch das Prinzip der Mehrheit als Basis des politischen Handelns konkretisiert werden kann.

Die moderne Demokratie ist deshalb nicht die Selbstregierung des Volkes. Sie kann heute lediglich als die Regierung von Vertretern des Volkes realisiert werden, die aus allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sind, vom Volk durch die periodische Wiederkehr solcher Wahlen zur Verantwortung gezogen werden können und die Regierungsgeschäfte nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit der politisch-gesellschaftlichen Kräfte einer Nation führen.

[entnommen aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, Bonn 1990]

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